Nachfolge und Infrastruktur

Datum: 8. September 2024 | Prediger/in:
Serie: | Bibeltext: Epheser 2,19-22; 2. Chronik 6,18

Was ist der Stellenwert und die Bedeutung von Infrastruktur für das kirchliche Leben? Im alten Israel war der Tempel der Ort der Gegenwart Gottes. Gott wohnte unter den Menschen. Seine Präsenz war an ein Haus gebunden. Seit Jesus bilden seine Nachfolger gemeinsam das Haus, in dem Gott wohnt. Gebäude und Infrastruktur verloren ihre unverzichtbare Bedeutung, dienen dem jetzigen Haus Gottes, der Gemeinde, aber weiterhin als hilfreiche Unterkunft, um ihrem gemeinsamen Leben vor und mit Gott einen Raum zu bieten.


Am 5. Juli 2008 fand die offizielle Eröffnungsfeier des Fussballstadions in St.Gallen, damals noch «AFG-Arena» genannt, statt. Trotz des schmucken, stimmungsvollen Stadions besiegelte im gleichen Sommer die Niederlage des FC St.Gallen in der Barrage gegen Bellinzona den Fall in die Zweitklassigkeit. Wie beim Sport sind Gebäude auch in der Kirche wichtig, doch die Hauptsache ist immer das Leben. Wir feiern heute das 10-jährige Bestehen unseres Hauptgebäudes, 119 Jahre Jugendhaus mit einer sanften Anpassung an die aktuellen Gegebenheiten, die Einweihung unserer neuen Bühne sowie den Start unseres Projektes Livestream 500(0). Was ist der Stellenwert und die Bedeutung von Infrastruktur für das kirchliche Leben?

Gleich wie im Tempel von damals

Als das Volk Israel im Gelobten Land sesshaft geworden und sich etwas etabliert hatte, kam der grosse Wunsch auf, einen Haus zu bauen, in dem Gott unter ihnen wohnen konnte. Nach einer langen Vorbereitungszeit durfte Salomo das Haus auf dem Berg Morija nach den Plänen Gottes bauen. Es entstand ein Prachtbau; sehr ästhetisch und mit den wertvollsten Baumaterialien ausgestattet. Es gibt auffällig starke Parallelen zum Bau unseres Zentrums.

Gott ist grösser

Bevor der Bau dem kultischen Leben der Israeliten übergeben wurde, gab es eine grosse Einweihungsfeier. Die ganze Bevölkerung des Landes traf sich in Jerusalem beim Tempel. Salomo leitete die Zeremonie. Eingangs sprach er: «Aber wohnt Gott wirklich bei den Menschen auf der Erde? Siehe, die Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen; wie sollte es denn dieses Haus tun, das ich gebaut habe!» (2Chronik 6,18 SLT). Im Buch des Propheten Jesaja steht, dass der Saum Seines Gewandes den ganzen Tempel füllte (Jesaja 6,1). Was für eine Erkenntnis! Gott ist viel grösser, als dass Er von einem Haus, von einer Kirche oder von unserem Verstand erfasst werden könnte. Durch die Weite seines Wesens ist Gott unbegreiflich. Aufgrund unserer begrenzten Sicht fällt es uns Menschen leicht, Gott zur Rede zu stellen, zu kritisieren, uns über sein mangelndes Handeln zu beschweren und zu fragen, ob er überhaupt handelt. Die Versuchung ist gross, sich einen Gott zurechtzubasteln, der auf einen Autoaufkleber oder in unseren Hosensack passt. Wir hätten Ihn gerne im Griff, um Ihn für unsere Zwecke benutzen können. Doch Hand auf’s Herz: Willst du wirklich einen Gott, der von unserer beschränkten Ratio erfasst werden kann? Wäre dies der Fall, wären wir ja grösser als Gott, Er könnte lediglich die Rolle eines Maskottchen einnehmen. Nein danke, so einen Gott brauchen wir nicht. Weil Gott, der Erschaffer und Erhalter des ganzen Kosmos ist, gilt: «‘Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken’, sagt der HERR, ‘und meine Wege sind nicht eure Wege. Denn so viel der Himmel höher ist als die Erde, so viel höher stehen meine Wege über euren Wegen und meine Gedanken über euren Gedanken’» (Jesaja 55,8-9 NLB). Unsere Sicht der Welt und unseres Lebens ist eine Froschperspektive. ER hat eine Vogelperspektive. Seine Gedanken und sein Handeln sind perfekt, auch wenn wir es oft nicht verstehen.

Es ist unser Wunsch, dass wir in unserem Haus in Demut und in Staunen über Gott reden, dass wir uns Ihn nicht übergriffig annähern, sondern mit Ehrfurcht und Respekt begegnen – im Wissen, dass unsere Erkenntnis Gott nie und nimmer begreifen kann.

Ort der Anbetung

Wer sich die unfassbare Grösse und Majestät Gottes auf der Zunge zergehen lässt, kann nur kapitulieren und demütig anbeten. Genau dafür war der Tempel in Jerusalem gedacht. Der Tempel stand auf dem Berg Morija. Das ist der gleiche Berg, auf dem Abraham 800 Jahre vorher seinen langersehnten Sohn Isaak hätte opfern sollen. Im allerletzten Moment wurde er von einem Engel davon abgehalten. Anders war es später bei Jesus. Als er gekreuzigt wurde, kam niemand, der die Vollstrecker zurückrief. Gott sei Dank! Jedenfalls war dieses unbedingte Vertrauen Abrahams in Gottes Wege der Prototyp aller Anbetung. Es ist bezeichnend, dass Abraham unterwegs zu seinen Dienern sagte:

«‘Wartet hier mit dem Esel auf uns!’, wies er seine beiden Diener an. ‘Der Junge und ich werden noch ein Stück weitergehen. Dort oben werden wir Gott anbeten und dann zu euch zurückkommen.’» (1Mose 22,5 NLB).

Zum ersten Mal überhaupt erscheint an dieser Stelle das Wort anbeten in der Bibel. Das ist kein Zufall, sondern hat tiefen Sinn. Anbetung ist im ureigensten Sinn das Sich-Anvertrauen an Gott, selbst wenn wir Ihn überhaupt nicht verstehen. Gerade die Tatsache, dass ich Gott nicht verstehen kann, ist die Grundlage aller Anbetung. Wir beten in unserem Haus Gott mit schöner Musik und wohligen Emotionen an. Das ist gut, doch vergessen wir nie, dass es um die Hingabe des ganzen Lebens geht.

Ort des Gebets und der Begegnung mit Gott

Der Tempel war ein Ort des Gebets und der Begegnung mit der Präsenz Gottes. Die Reihenfolge von Salomos Gebet ist aufschlussreich: Zuerst bittet er um Busse und Vergebung, was die Grundlage für weitere Segnungen ist. Eine bereinigte Beziehung ist die Grundlage für die Begegnung mit Gott und bringt einen Menschen zurück ins Original-Design. Es gibt keinen Ort, der einem Menschen besser tut oder mehr Sinn gibt, als in der Gegenwart Gottes. Danach betet Salomo für die alltäglichen Anliegen wie politische Sicherheit, Regen und Nahrung und zum Schluss um das Wohlergehen für Menschen anderer Nationen.

In der seetal chile geht es in allerster Linie darum, Menschen zu helfen, ins Original-Design zu finden. Aus dieser Identität heraus soll Segen in die Nachbarschaft und in die ganze Welt hinaus fliessen. Das Fürbittegebet hilft uns, diesen Fokus nicht zu verlieren.

Und doch ganz anders

In meiner aktiven Zeit als Jungscharleiter erdreisteten wir uns, im Gottesdienstraum unserer Kirche eine Minigolfbahn einzurichten. Der Abschlag einer Bahn war auf der Empore positioniert, geschlagen wurde in Richtung Bühne. Von der Kirchenleitung wurden wir getadelt und zurechtgewiesen. Ohne, dass wir dies beabsichtigten, strapazierten wir das religiöse Empfinden dieser Leute. Meine Frage lautet(e): Muss ein Kirchengebäude anders behandelt werden als ein profanes Haus? Ist eine Kirche heutzutage heilig? Wohnt Gott speziell in Kirchen?

Beinahe tausend Jahre nach der Tempelweihe kam Jesus Christus auf diese Erde. Sein Tod und seine Auferstehung veränderte fast alles, nicht zuletzt das Verhältnis von Nachfolge und Infrastruktur. Paulus schreibt: «Deshalb seid ihr nicht länger Fremde und ohne Bürgerrecht, sondern ihr gehört zu den Gläubigen, zu Gottes Familie. Wir sind sein Haus, das auf dem Fundament der Apostel und Propheten erbaut ist mit Christus Jesus selbst als Eckstein. Dieser Eckstein fügt den ganzen Bau zu einem heiligen Tempel für den Herrn zusammen. Durch Christus, den Eckstein, werdet auch ihr eingefügt und zu einer Wohnung, in der Gott durch seinen Geist lebt» (Epheser 2,19-22 NLB).

Nicht vergeblich wurden die Jahreszahlen zur Zeit von Jesus genullt, es war in der Tat eine Zeitenwende. Auch beim Thema Nachfolge und Infrastruktur. Von nun an ist das Haus Gottes nicht mehr mit toten Steinen, sondern mit Menschen gebaut. Jesus ist der Eckstein, der Referenzpunkt, an dem sich der ganz Bau ausrichtet. Dieser Eckstein fügt lebendige Menschen in den Bau ein. Durch das Sich-Anvertrauen an Jesus und sich von Ihm ausrichten lassen, wird ein Mensch Teil des Tempels, in dem Gott präsent ist.

Ab nun gibt es keinen bestimmten Ort mehr, sondern Gott ist dort präsent, wo seine Nachfolger sind. Bernhard von Clairvaux: «Du musst nicht über die Meere reisen, du musst nicht in den Himmel hinaufsteigen, du musst nicht die Alpen überqueren. Der Weg ist nicht weit. Du musst Gott nur bis zu dir selbst entgegen gehen.»

Als der HERR sich Mose mit Namen vorstellt, sagte er: «Ich bin, der ich-bin-da» (2Mose 3,14). Gott stellt sich vor, als der, der da ist. Seine Präsenz ist hier. Dieser jetzige Moment, die Gegenwart, ist der einzige Moment, ist der einzige Ort, wo du Gott begegnen kannst. Der einzige Ort, wo Beziehung stattfinden kann. Wenn wir mit den Gedanken in der Vergangenheit oder in der Zukunft sind und uns Sorgen machen, sind wir automatisch weg von der Gegenwart. Der Einzige, der immer im Hier und Jetzt ist, ist Gott. ER ist jetzt in diesem Moment da. ER wohnt in denen, die Jesus nachfolgen. Leider sind wir meistens zu beschäftigt, um Ihn dort anzutreffen.

Gott wohnt in dem Haus, das aus lebendigen Menschen besteht. Er wohnt aber auch in einem jeden einzelnen Menschen, der sein Leben am Eckstein Jesus ausgerichtet hat: «Erkennt ihr denn nicht, dass ihr der Tempel Gottes seid und dass der Geist Gottes in euch wohnt?» (1Korinther 3,16 NLB).

Wir müssen uns im Gebet also nicht anstrengen und versuchen, uns zu Gott hochzuarbeiten. Das stimmt nicht. Es funktioniert genau umgekehrt: Nicht wir müssen uns zu Gott hocharbeiten, sondern Gott hat sich kleingemacht, um mir hier unten zu begegnen. Mein Körper ist der Tempel des Heiligen Geistes. Über diese Tatsache schreibt Theresa von Avila: «Hätte ich früher erkannt, dass der winzige Palast meiner Seele einen so grossen König beherbergte, dann hätte ich ihn nicht so häufig darin allein gelassen.»

Die Fussballarena in St.Gallen bietet eine supergute Infrastruktur. Man spricht von einem Bollwerk für jeden Gegner. Die Architektur unterstützt die Fangesänge und fördert eine gute Stimmung. Die St.Galler Fussballer wachsen regelmässig über sich hinaus. Genauso ist es mit unserem Zentrum mit der neuen Bühne und dem neugestalteten Jugendhaus. Es ist eine ästhetisch wunderbare Heimstätte mit schöner Architektur und praktischen Räumen. Aber – unser Zentrum ist weder mystisch noch magisch. Da Gott sich nicht an unsere Infrastruktur gebunden hat, darf auch mal ein Minigolfball geschlagen werden. Nichtsdestotrotz freuen wir uns riesig und sind dankbar, dass wir als Haus Gottes – bestehend aus lebendigen Bausteinen – uns hier treffen, Ihm begegnen, Ihn anbeten und Seine Liebe in die Welt hinaustragen dürfen. Und – es hat noch viel Platz für weitere Menschen!

 

Mögliche Fragen für die Kleingruppen

Bibeltext lesen: Epheser 2,19-22; 2Chronik 6,18 (bzw. ganzes Kapitel)

  1. Was machte es aus, dass der Tempel im alten Israel eine solche hohe Bedeutung hatte?
  2. Welche Funktion hatte der Tempel im kultischen Leben der Israeliten?
  3. Was bedeutet es, dass alle Nachfolger zusammen das Haus Gottes sind, bei dem Jesus der Eckstein ist? Darf nun in der Kirche Minigolf gespielt werden? ;-)
  4. Wie können wir heute Gott in seiner Präsenz begegnen? Wie können wir im Hier und Jetzt sein?
  5. Was für eine Rolle spielt dabei die Stille vor Gott?