Heiligung unter Geburtswehen

Datum: 19. November 2023 | Prediger/in:
Serie: | Bibeltext: Galater 4,19; Psalm 51

Heiligung bedeutet, dass Christus in uns Gestalt annimmt und unser Leben immer mehr prägt. Aus einem neuen Sein folgt ein neues Tun. Christen neigen dazu, diesen Prozess durch Handeln aus eigener Kraft abzukürzen. Das Resultat ist ernüchternd. Es ist unser Anliegen, dass wir uns als Kirche nicht über unsere Programm definieren, sondern über die Qualität der Heiligung bei den Leuten.


Als ich ein kleiner Junge war, erlebte ich viele spannende Abenteuer mit der Clique in unserer Nachbarschaft. Füchse jagen, Spatzen schiessen, Schlachten mit den «Unterdörflern», Indianer spielen im Futterlager einer Schweinemästerei, Fussball an der Hauptstrasse, etc. Am Sonntag hingegen mussten wir in die Bügelfaltenhose steigen, den weissen Rollkragenpullover mit dem gestrickten ärmellosen Pullover überziehen und in die polierten Schuhe steigen. Unsere grösste Aufgabe war es nun, unsere Sonntagskleider innerhalb der erlaubten Sauberkeitstoleranz zu halten. Kannst du dir vorstellen, wie mühsam das für wilde Jungs war? Unser Herz war noch dasselbe, doch unser äusseres war auf Sonntagsschule getrimmt. Mühsam, halbherzig – für uns und für unsere Freunde.

Eine Kirche in Galatien hatte ein ähnliches Problem. Nachdem die gute Nachricht von Jesus sie erreicht hatte, erlebten sie tiefe Veränderung von innen nach aussen. Die Menschen wurden geheiligt, in das Bild von Jesus umgewandelt. Aus irgendwelchen Gründen wurde ihr guter Lauf gestoppt. Sie wurden gesetzlich und selbstgerecht, was zur schlimmen Krankheit der religiösen Selbstgerechtigkeit führte. Sonntagskleider ohne verändertes Herz. Dieser Zustand führte dazu, dass Paulus hineingrätschte und mit harschen Worten die Gemeinde aufzuwecken versuchte. Sein Anliegen spricht er sehr bildhaft aus: «Meine Kinder, es ist, als müsste ich euch ein zweites Mal zur Welt bringen. Ich erleide noch einmal Geburtswehen, bis Christus in eurem Leben Gestalt annimmt» (Galater 4,19 NGÜ).

Christus in uns – das ist die Grundlage jeder Heiligung. Leider neigen wir Christen dazu, nach gutem Anfang uns mit einer Oberflächen Politur zufrieden zu geben. Christus möchte in unserem Leben Gestalt annehmen. Geburtswehen sind kein Kinderspiel und variieren zwischen heftig bis sehr heftig. So tief sitzt die Neigung zur Gesetzlichkeit, diese umzulenken erfordert Paulus alles ab und ist schmerzhaft.

Was bedeutet es, weg von der Art der Welt hin zur Art von Jesus transformiert zu werden? Wie kann Jesus Gestalt in uns annehmen, so dass unser Denken und Handeln von Gnade und Liebe und nicht von Druck und religiösen Prinzipien geprägt ist? Drei Bewegungen führen zu einer gesunden Heiligung, die Freude und Freiheit ausströmt.

Vom Tun zum Sein

Eine der offensichtlichsten Charakteristik des täglichen Lebens ist, dass wir geschäftig sind. Unsere Tage sind mit Pflichten, Sitzungen und Projekten gefüllt – wie überfüllte Koffer, die zu platzen drohen. Es ist immer etwas unfertig, das wir erledigen müssen. Wenn wir aufhören zu tun, hören wir auf zu sein. Ich habe in meinem Sabbatical schmerzhaft erfahren, wie tief sich dies in meinem Leben konditioniert hat.

Ein grosses Problem ist, dass Nachfolger von Jesus – von der Welt geprägt – Dinge für Jesus tun, aber nicht wie Jesus werden. Wir neigen dazu, ohne das Herz von Jesus, für Ihn zu arbeiten. Es ist möglich, die Dinge der Kirche zu tun, ohne Christus in uns. Wir können die Gemeinschaft in der Kirche geniessen, von der Musik, dem Licht und vielleicht sogar von der Predigt berührt werden und die Pizza vom Bistro verköstigen, ohne tiefe Begegnung mit Christus. Die Galater tun viel, aber versagen darin, durch Christus von innen heraus gestaltet zu werden. Das blosse Dabeisein in einer Kirche führt nicht zur Heiligung. Wir wollen eine Kirche sein, die sich nicht über die Qualität ihrer Musik, Willkommenskultur oder Predigt, sondern über die Qualität der dazugehörigen Menschen definiert. Dennoch arbeiten wir hart an ansprechenden Programmen, weil man Gott nicht mit Halbherzigkeit ehren kann.

Paulus nennt das Prüfkriterium für wahres Christsein: «Erforscht euch selbst, ob ihr im Glauben steht; prüft euch selbst! Oder erkennt ihr an euch selbst nicht, dass Jesus Christus in euch ist? Wenn nicht, dann wäret ihr ja nicht bewährt» (2Korinther 13,5 LUT).

Menschen, die nur die Vorteile des Programms geniessen, laufen von Gott weg, wenn es im Leben schwierig wird. Wer hingegen Gott und seiner Gnade wirklich begegnet ist, wächst an den Schwierigkeiten. Wenn wir tiefe Begegnungen mit Christus in uns und seiner Gnade haben, kann uns nichts von der Liebe Gottes trennen.

König David sorgte für ein intensives göttliches Programm. Er holte das Zelt der Gegenwart Gottes nach Jerusalem und richtete einen 24/7 Worship ein. Sein moralisches Versagen mit Ehebruch und der Verantwortung des Mordes von Uria, dem betrogenen Mann, geschah, als der Gebetsraum in vollem Betrieb war. Das äussere Programm war perfekt, nicht aber sein Herz. In Psalm 51 verarbeitet er sein Versagen: «Mit Schlachtopfern bist du nicht zufrieden, sonst hätte ich sie dir gebracht und auch Brandopfer würdest du nicht annehmen. Das Opfer, das dir gefällt, ist ein zerbrochener Geist. Ein zerknirschtes, reumütiges Herz wirst du, Gott, nicht ablehnen» (Psalm 51,18f NLB). Und: «Gott, erschaffe in mir ein reines Herz und gib mir einen neuen, aufrichtigen Geist» (V.12 NLB). Nicht das fromme Programm verändert uns, sondern eine Herztransplantation. Unser Sein und nicht unser Tun ist die Grundlage der Heiligung.

Von der Oberfläche in die Tiefe

Vor allem im Matthäusevangelium fordert uns Jesus wiederholt auf, sich nicht auf das Äusserliche zu beschränken, sondern die anstrengende Arbeit am Herzen zu tun. Die Schriftgelehrten und Pharisäer konfrontiert er: «Ihr Heuchler! Sorgfältig achtet ihr darauf, dass eure Tassen und Teller nach aussen sauber sind, doch innerlich seid ihr durch und durch verdorben – voller Missgunst und Masslosigkeit!» (Matthäus 23,25 NLB). Die Bergpredigt ist eine Einladung, uns auf unser Herz und nicht nur auf das bloss «richtige Handeln» zu fokussieren. Nicht erst der Mord ist falsch, sondern bereits der Zorn im Herzen, nicht erst der Ehebruch ist zu verurteilen, sondern bereits das Begehren, usw.

Ein Autor geistlicher Bücher hat das menschlichen Herzens analog zu einem Gewässer in drei Bereiche eingeteilt: Die Untiefe, die Mittellage und die Tiefe. In der Untiefe geht es um Lappalien wie Sportresultate oder dem Wetter. Die Mittellage befasst sich mit unserer persönlichen Situation, mit der Herausforderung des Alleinseins oder der Ehe. In der Tiefe geht es um die Frage, wer wir wirklich sind, wo wir wirklich dazugehören. Das meiste, was in der Kirche passiert, liegt zwischen Untiefe und der Mittellage. Das Evangelium hingegen ist fundamental und beantwortet die Frage, wer wir sind. Leider sind wir in unserem geschäftigen Leben so abgelenkt, dass es für die gute Nachricht schwierig ist, an unsere tiefsten Stellen zu gelangen.

Wie kommt Gott von der Oberfläche in die Tiefe unseres Herzens? David hat die Frage bereits in Psalm 51 beantwortet und wird durch Jesaja bestärkt: «Denn so spricht der Hohe und Erhabene, der in der Ewigkeit wohnt, der, dessen Name der Heilige ist: Ich wohne an der hohen, heiligen Stätte und bei denen, die einen zerschlagenen und gedemütigten Sinn haben, um die Gedemütigten neu zu beleben, und die zerschlagenen Herzen wieder aufleben zu lassen» (Jesaja 57,15 NLB).

Die entscheidenden Stichworte lauten Demut und Zerbrochenheit. Es gilt darum, jegliche stolze Selbstgerechtigkeit abzulegen und zu kapitulieren. Wir brauchen ein neues Herz, eine neue Identität, eine neue Zugehörigkeit aus der Erkenntnis heraus, dass wir es selbst nicht schaffen. Echte Heiligung kann nur aus einer neuen Identität herauswachsen. Die israelische Fussballmannschaft stellen beim Abspielen ihrer Hymne gebrochene Herzen als Zeichen des Mitgefühls und der Trauer dar. Ein gebrochenes Herz leidet unter der Unfähigkeit, es selbst zu schaffen. Die wasserdichte Schale wird durchlässig, so dass Christus in uns Gestalt annehmen kann: «Das bedeutet aber, wer mit Christus lebt, wird ein neuer Mensch. Er ist nicht mehr derselbe, denn sein altes Leben ist vorbei. Ein neues Leben hat begonnen!» (2Korinther 5,17 NLB). Jemand erzählte, wie er zwei erwachsene Kinder verloren hat, eines durch Suizid. «Diese Erfahrung brachte mir den grössten Schmerz, den ich je erlitten habe. Ich wusste, dass mein Schmerz grosse Energie hatte, also bat ich Gott, ihn für meine Heilung zu nutzen. Grosses Leid und grosse Liebe sind Wege zur Verwandlung – das war bei mir der Fall.»

Wir brauchen ein Bewusstsein von Gottes Heiligkeit, Seiner Gerechtigkeit und Seiner Liebe und gleichzeitig ein Bewusstsein meiner Sündhaftigkeit. Philipp Melanchthon sagte: «Wer noch nie über sich Tränen vergossen hat, muss zusehen, ob er etwas verstanden hat vom neuen Leben.» Sünde meint, dass ich auf etwas anderes als auf Gott vertraue, z.B. auf mein Tun für Jesus.

Hat das Evangelium die Tiefe deines Lebens schon erreicht?

Von der Gebundenheit zur Freiheit

Heiligung bedeutet, dass du von der Macht der Sünde frei bist und damit die Möglichkeit hast, ein neuer Mensch zu werden. Aus einer neuen Identität folgt ein neues Handeln, völlig frei von einer weltlich verformten Identität. Wir sterben dem, was uns tötet, und auferstehen dem, was uns heilt. Das geschieht in der Wiedergeburt. Heilig sein bedeutet, abgesondert, heil, ganz und integer zu sein. Innen und aussen stimmen überein. Unser Handeln muss nicht perfekt sein, sondern immer mehr stimmig mit Christus in uns. Wir dürfen damit aufhören, innere Defizite durch äusseres Handeln zu kompensieren. Heiligung bedeutet, dass Christus immer mehr in uns Gestalt annimmt. Das Ziel davon ist Leben in Freiheit. Daraufhin zielt der ganze Galaterbrief ab. «Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!» (Galater 5,1 LUT). Freiheit ist ein Überfluss des Lebens von Christus in uns in unser Leben.

Unter Druck kommt das aus uns heraus, was im Innern vorhanden ist. Unter maximal vorstellbarem Druck, sterbend am Kreuz, strömt Jesus reine Liebe aus. Er vergibt seinen Feinden und kümmert sich um seine Mutter. Christus in uns bewirkt, dass wir eine solch tiefe Umgestaltung erfahren. Wenn Christus in uns Gestalt annimmt, zeigt sich dies in der Frucht des Heiligen Geistes «Wenn dagegen der Heilige Geist unser Leben beherrscht, wird er ganz andere Frucht in uns wachsen lassen: Liebe, Freude, Frieden, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung. [...]» (Galater 5,22 NLB).

Christus in uns – das ist der Schlüssel der Heiligung. Wer mit Christus lebt, hat nicht etwas Besonderes an sich, sondern etwas Wunderbares in sich. In der deutschen Sprache ist es nicht üblich, die Vereinigung zweier Personen so zu beschreiben, als ob einer im anderen ist. Ich bin mit Silvia verheiratet, aber nicht in sie. Es gibt eine Ausnahme: Wenn eine Frau sich verliebt, dann ist sie nicht mit dem Mann, sondern in ihn verliebt. Das ist doch bezeichnend. Diese Liebesbeziehung will gepflegt sein. Derjenige, der mich am besten kennt, liebt mich am meisten! In dieser innigen Beziehung nimmt Christus Gestalt in uns an und verändert uns in sein Bild.

 

Mögliche Fragen für die Kleingruppe

Bibeltext lesen: Psalm 51

  1. Warum geschieht es bei Christen so leicht, dass sie gesetzlich werden?
  2. Warum ist in der Heiligung das Sein wichtiger als das Tun? Wo und wie setzt das Evangelium an?
  3. Welche Ebenen des Herzens (Untiefe, Mittellage, Tiefe) kommen bei euch in der Kleingruppe zur Sprache?
  4. Unter Druck kommt das aus dem Herzen, was wir in unserem Herzen wirklich vorhanden ist. Was für Erfahrungen machst du mit dieser Wahrheit?
  5. Wie kann Christus in uns Gestalt annehmen? Wie können wir das fördern?