Christ oder Nachfolger
Serie: Folge du mir nach | Bibeltext: Johannes 8,30-36
Wir leben in einer kirchlichen Kultur, in der ein Mensch Christ werden kann, aber nicht zwingend ein Nachfolger von Jesus sein muss. In den vier Biografien über Jesus gibt es nur die Unterscheidung Volk und Nachfolger. Die Kategorie Christ, bei dem man ein Übergabegebet spricht, an eine Reihe von Lehren über Gott glaubt und in die Kirche geht, um so sicherzustellen, dass man nach seinem Tod in den Himmel kommt, gab es nicht. Ein Nachfolger Jesu ist wie ein Lehrling, der ganzheitlich von seinem Meister lernt und ihn 24/7 beobachten kann. Daraus erwachsen gute Früchte wie Wahrheit erkennen, Freiheit und Kindschaft.
In den sozialen Medien hat im Kontext der US-Präsidentschaftswahlen die Diskussion darüber stattgefunden, ob Donald Trump Christ sei oder nicht. Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir definieren, was ein Christ überhaupt ist. Ein anerkannter gemeinsamer Nenner sind die vier Punkte: 1. Gott liebt dich. 2. Du bist ein Sünder, der verloren ist. 3. Jesus starb am Kreuz für deine Sünden. 4. Wenn du an Ihn glaubst, wirst du nach deinem Sterben in den Himmel kommen. In vielen westlichen Kirchen gilt, dass wer zu diesen Punkten «Ja» sagt, als Christ durchgeht und später in den Himmel kommt. Gut möglich, dass Trump bei einem Bekehrungsaufruf in einer Kirche einmal aufgestanden ist.
Im Neuen Testament kommt das Wort «Christ» dreimal in der Apostelgeschichte vor. Dort wird es als religiöses Schimpfwort verwendet, um Anhänger von Christus zu verspotten. Doch im Laufe der Zeit übernahmen unsere geistlichen Vorfahren diese Beleidigung und verwendeten sie, um sich selbst als diejenigen zu identifizieren, die sich der Nachahmung Christi verschrieben haben. So weit so gut. Das Problem besteht darin, dass sich die Bedeutung des Wortes durch die Christianisierung im 4. Jahrhundert verändert hat. Von da an war ein Christ einer, der zum Römischen Reich gehört, sich den Grundzügen des Christentums verschreibt und in die Kirche geht.
In den vier Evangelien, den Biografien von Jesus, ist die Kategorie Christ unbekannt. Dort wird zwischen dem Volk und den Nachfolgern (Lehrlingen, Jüngern) von Jesus unterschieden. Das Problem bei uns im Westen ist, dass wir ein kulturelles Umfeld geschaffen haben, wo wir Christen und doch keine Nachfolger sein können.
Im Wort bleiben
In der Schweiz kennen wir die einzigartige duale Berufsbildung. Das bedeutet, dass die Jugendlichen Arbeit und Schule miteinander verbinden können. In der Schule werden sie sowohl in den klassischen Schulfächern aber auch im Berufskundeunterricht gefördert. Das Gelernte können sie im Lehrbetrieb sofort einsetzen und weisen somit eine grosse Lernkurve auf. Vor ein paar Jahrzehnten gab es zudem das Modell, bei dem der Lehrling in der Familie seines Meisters wohnte. So erlebte er seinen Chef in jeder Lebenssituation. Nachfolge bedeutet, ein Lehrling von Jesus zu sein, 24/7 bei Jesus zu sein.
Um dies zu verdeutlichen, benutzt Johannes, der vierte Biograf von Jesus, ganze 64-mal das Wort meno (bleiben, wohnen, aufhalten, verweilen). Es ist das Wort, das einen Nachfolger von Jesus am besten charakterisiert. So schreibt er: «Als Jesus das sagte, glaubten viele an ihn. Zu den Juden, die nun an ihn glaubten, sagte Jesus: ‘Wenn ihr in meinem Wort bleibt (meno), seid ihr wirklich meine Jünger, und ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen’» (Johannes 8,30-32 NGÜ). Ein Nachfolger von Jesus zeichnet sich dadurch aus, dass er in Seinem Wort bleibt (meno). Meno ist die Wurzel des griechischen Substantivs mone, das Wohnsitz oder Behausung bedeutet (Johannes 14,2.23). An welcher Adresse nimmt ein Lehrling von Jesus Wohnsitz? Antwort: In Seinem Wort. Um herauszufinden, wo genau das ist, müssen wir die ersten Sätze des Johannesevangeliums hinzuziehen: «Am Anfang war das Wort. Das Wort war bei Gott und das Wort war Gott. Er war am Anfang bei Gott [...]» (Johannes 1,1f NLB). Johannes identifiziert Jesus selbst mit dem Wort.
In seinem Wort bleiben, meint nicht also nicht primär, andauernd die Bibel zu lesen. Weil sich Jesus jedoch in der Heiligen Schrift offenbart, ist das Lesen, Meditieren und Studieren der Bibel eben doch ein hervorragender Weg, um in Jesus zu bleiben. Die bekannteste meno-Stelle heisst: «Ich bin der Weinstock, und ihr seid die Reben. Wenn jemand in mir bleibt und ich in ihm bleibe, trägt er reiche Frucht; ohne mich könnt ihr nichts tun» (Johannes 15,5 NGÜ). Jesus steuert auf einen einzigen Punkt zu: Richte dich in meiner Gegenwart im Geiste ein und verlasse mich nie.
Ein Lehrling von Jesus zu sein, meint, sein ganzes Leben auf drei Ziele auszurichten: Mit Jesus sein, Ihm ähnlicher werden und das zu tun, was Er tat. Jesus nachfolgen beginnt damit, dass wir zu Jesus kommen und bei Ihm bleiben. Dann werden wir Ihm allmählich ähnlicher und letztlich werden wir anfangen die Dinge zu tun, die Jesus in dieser Welt getan hat. Nachfolge beginnt immer beim Punkt 1: Bei Jesus zu bleiben.
Wie würde es für dich aussehen, wenn du in Gott dein Zuhause findest? Hier geht es nicht darum, sich in ein Kloster zurückzuziehen, sondern darum zu lernen, immer an zwei Orten gleichzeitig zu sein. Frühstücken und mit Jesus zusammen sein, während der morgendliche Fahrt zur Arbeit mit Jesus zusammen sein, eine weitere Windel wechseln und mit Jesus zusammen sein, den Maileingang checken und mit Jesus zusammen sein, das Abendessen für die Familie oder Freunde zubereiten und das Herz in Jesus ruhen lassen. Es ist das, was Paulus meint, wenn er sagt: «Hört nicht auf zu beten» (1Thessalonicher 5,17 NLB). In der Lehre Jesu geht es darum, unseren Körper in einen Tempel zu verwandeln, einen Ort der Überschneidung zwischen Himmel und Erde, ein Vorzeichen auf das, was Jesus eines Tages für den ganzen Kosmos tun wird, wenn Himmel und Erde endlich wieder vereint sind. Uns steht jeden Tag die Gelegenheit offen, unseren Körper zu Gottes Daheim werden zu lassen.
Auf äussere Vorzüge und Handlungen berufen
Folgende Aussagen stammen von Juden, «die nun an ihn glaubten»: «’Aber wir sind doch Nachkommen Abrahams’, sagten sie. ‘Wir sind nie Sklaven von irgendjemand gewesen. Warum redest du dann von ›frei machen‹? Was meinst du damit?’» (Johannes 8,33 NLB).
Die Identität dieser an Jesus gläubig gewordenen Juden ist tief in ihrer Herkunft verankert. Sie berufen sich darauf, doch zu Gottes Volk zu gehören, von dem Abraham der Stammvater war. Dabei scheinen sie zu vergessen, dass sie 70 Jahre lang gefangen im babylonischen Exil waren oder dass sie seit vielen Jahren unter der römischen Besatzungsmacht litten. Sie bilden sich ein, aufgrund von äusseren Begebenheiten frei zu sein. Diese Leute erinnern mich an Christen, die bei einem Bekehrungsaufruf mal die Hand gehoben, ein Übergabegebet gesprochen, regelmässig die Kirche besuchen und die Hoffnung in sich tragen, dereinst in den Himmel zu kommen. Jesus sucht aber keine Menschen, die Christ werden wollen, sondern nach Lehrlingen für das Reich Gottes.
Es geht um einen neuen Lebensstil: «Jesus erwiderte: ‘Ich versichere euch: Jeder, der sündigt, ist ein Sklave der Sünde’» (Johannes 8,34 NLB). Jesus stellt hier zwei Lebensstile gegenüber: Menschen, die in seinem Wort bleiben und solche, die sündigen. Der Unterschied könnte nicht grösser sein; die erste Gruppe haben den Stand von Familienmitgliedern bei Gott und die zweite sind Sklaven der Sünde. Was meint Jesus mit Sündigen? Wir denken schnell an moralisches Versagen oder an das Verstossen gegen die biblischen Gebote. Diese Kategorie von Sünde tut jeder Mensch, ob Nachfolger oder zum Volk gehörend. Das griech. Wort für Sünde (hamartia) meint, das Ziel zu verfehlen. Laut Jesus ist das Ziel die Vereinigung mit Gott, in Ihm bleiben und Er in uns. Das Ziel ist es, zu einem Lehrling im Reich Gottes werden. Im Unterschied zu den Menschen, die sich auf äussere Handlungen oder Vorzüge berufen, geht es dabei um eine Herzensangelegenheit. Wenn ein Mensch sich diesem Ziel versagt, bleibt er ein Sklave der Sünde.
Erlösung erleben
Zu was hat Jesus Christus uns eigentlich errettet? Nein, es ist nicht das Ticket in den Himmel! Für Jesus geht es darum, dass der Himmel jetzt schon in uns kommt. Es geht nicht nur darum, dass Er wie wir wurde, sondern dass wir wie Er werden. Es geht nicht nur um das, was Er für uns getan hat, sondern ebenso um das, was Er durch uns tut oder tun wird, wenn wir bei Ihm in der Lehre sind. Es geht darum, ein Mensch zu sein, der nicht nur von Gott geliebt, sondern auch von der Liebe Gottes durchdrungen wird. Es geht nicht nur darum, die Verdienste seines Todes zu anzunehmen, sondern genauso die Kraft der Auferstehung zu empfangen. Diese Dinge erleben wir nicht als Christen, sondern als Seine Nachfolger, die in Ihm bleiben.
In unserem Text beschreibt Jesus drei Aspekte, die zu Seiner Errettung dazugehören: die Wahrheit erkennen, frei sein und zu seiner Familie gehören.
«Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen» (Johannes 8,32 NLB). «Ein Sklave ist kein Familienmitglied; ein Sohn dagegen gehört für immer zur Familie. Nur dann, wenn der Sohn euch frei macht, seid ihr wirklich frei» (Johannes 8,35f NLB).
- Die Wahrheit erkennen: Die Bedingung, seine Wahrheit zu erkennen, ist nicht unser Intellekt, sondern die Nachfolge. Jesus sagt von sich, dass Er der Weg, die Wahrheit und das Leben ist. Eugene Peterson: «Der Weg Jesu verbunden mit der Wahrheit Jesu führt zum Leben Jesu.» Das griechische Wort für Leben heisst zoe. Gemeint ist das göttliche Leben, das jeder Nachfolger bereits schmecken kann und das mit dem Tod nicht aufhört.
- Frei sein: Wenn wir bei Jesus wohnen und Er in uns, dann erleben wir die höchstmögliche Freiheit. Seine Lehre und seine Person werden uns schrittweise von Sünde, Ängsten, Sorgen, Festlegungen, negativen Prägungen und Gedanken befreien.
- Zu Seiner Familie gehören: Das ist der unfassbare Höhepunkt der Erlösung. Nachfolge macht uns zum Familienmitglied Jesu verbunden mit dem Recht, immer zur Familie zu gehören. Ein Nachfolger wird zum Erben Jesu. Kürzlich hat mir ein junger Vater gesagt, dass er diese Tatsache regelmässig seiner neugeborenen Tochter zuspreche. Das Erbe Gottes ist die höhere Wirklichkeit als das familiäre Erbe. Familienprägungen, -flüche und -festlegungen gelten nicht mehr.
Ist Trump nun ein Nachfolger von Jesus oder nicht? Ich weiss es nicht. Wenn ein Mensch – wie eine Rebe am Weinstock – in Jesus bleibt, bringt er viel Frucht. Ob dies bei Trump der Fall ist, überlasse ich getrost dem Urteil Gottes.
Möchtest du bei Jesus in die Lehre gehen? Nicht alle tun es. Die meisten Leute sagten nein zu dieser Einladung. Jesus bettelte und manipulierte nicht noch schüchterte Er ein. Nötigung passt nicht zur Kultur von Gottes Reich. Er hat weder jemand unter Druck gesetzt noch Spezialangebote gemacht. Er hat nur eingeladen. Und wenn die Leute zögerten oder Ausreden suchten, liess Er sie weggehen. Was machst du mit der Einladung Jesu, sein Lehrling zu werden?
Mögliche Fragen für die Kleingruppen
Bibeltext lesen: Matthäus 4,18-22; Johannes 8,30-36
- Jesus spricht in Johannes 8,30ff zu Menschen, die an Ihn glaubten. Warum hält er der einen Gruppe vor Augen, dass wer sündigt, ein Sklave der Sünde ist? Inwiefern verfehlen diese Menschen das Ziel? Ist es möglich, an Jesus zu glauben und doch das Ziel zu verfehlen?
- Was kennzeichnet einen Nachfolger? Was bedeutet es, in seinem Wort bzw. am Weinstock (Johannes 15,5) zu bleiben?
- Wie müsstest du deinen Tag strukturieren, um besser in Seinem Wort (in IHM) bleiben zu können?
- Was ist die Frucht, die ein Mensch erfährt, wenn er in Jesus bleibt?
- Wo wurdest du durch die Predigt angesprochen? Welchen (kleinen) Schritt möchtest du in den nächsten zwei Wochen tun?