Kindlich glauben
Serie: Willkommen daheim | Bibeltext: Matthäus 18,2-4
Jesus fordert seine Begleiter heraus, umzukehren und wie die Kinder zu werden (Matthäus 18,3). So richtig beim himmlischen Vater heimisch zu werden, erfordert einen kindlichen Glauben. Zu einem solchen findet jemand, wenn er die vorherigen Phasen «naiver Glaube» und «komplexer Glaube» hinter sich gelassen hat.
Vor vier Wochen berichtete eine Frau hier im Gottesdienst, wie sie durch schwere Heimsuchungen hindurch zu einem kindlichen Glauben gefunden habe. Kindlich glauben ist ein Zeichen der Reife in der Beziehung zum himmlischen Vater. «Da rief Jesus ein kleines Kind zu sich und stellte es vor sie hin. Dann sagte er: Ich versichere euch: Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, werdet ihr nie ins Himmelreich kommen. Deshalb: Wer so gering wird wie dieses Kind, der ist der Grösste im Himmelreich» (Matthäus 18,2-4).
Kürzlich las ich von einem evangelischen Pfarrer namens Andreas, der lebendige Predigten hält und ein guter Seelsorger ist. Er kniet sich rein und ist sehr anerkannt in seiner Kirchgemeinde. Niemand aber ahnt, wie es ihm innerlich geht. Dass er total verzweifelt ist. Dass ein furchtbarer Kampf in ihm tobt und dass er nur mit Alkohol seinen Alltag aufrechterhält. Immer so wenig, dass es keiner merkt, aber so viel, dass er nicht weiter nachdenken muss.
Wie kam es so weit? Alles hat mit einer glücklichen Familie angefangen. Als aber seine Tochter Lisa drei Jahre alt war, erkrankte sie an Leukämie. Sein Leben wurde völlig aus der Bahn geworfen, es war der Beginn einer monatelangen Leidenszeit – für das Kind und für die Eltern. Es folgten Chemotherapien und ein langer, schwerer Weg. Und tatsächlich: Nach zwei Jahren konnte die Tochter als geheilt gelten. Mit sieben kam sie in die Schule und hätte ein normales Leben führen sollen. Aber dann brach die Krankheit erneut aus. Neun Monate später mussten die Eltern ihre Tochter begraben – sie hatte es nicht geschafft. Der Verlust eines Kindes ist eine riesige Wunde, die nur sehr langsam verheilt. Andreas wollte nicht über den Schmerz reden, er zog sich zurück. Er wollte auch nicht beten – schon gar nicht mit seiner Frau. Er hatte seinen naiven Kinderglauben verloren. Bei Taufen wählten die Eltern manchmal den Vers aus Psalm 91,11: «Denn er befiehlt seinen Engeln, dich zu beschützen, wo immer du gehst.» Ihm klang dieses Wort wie blanker Hohn.
Dann aber kam es zu einer entscheidenden Wende in seinem Leben. Unterwegs zu einer Kirchenkonferenz besuchte er an einer Raststätte eine Autobahnkirche. Er war noch nie in einer Autobahnkirche und wollte sie sich ansehen. Er sah die Kerzen, das Licht, die Bilder in den Fenstern. Er wurde ganz ruhig. Sein Blick fiel auf eine Postkarte: «Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt, der spricht zu dem HERRN: Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe» (Lut). Und sofort wusste er, aus welchem Psalm dieses Zitat ist: Psalm 91! Er nahm die Bibel und las den Psalm. Unter Tränen las er Vers 10: «Es wird dir kein Übel begegnen, und keine Plage wird sich deinem Hause nahen» (Lut). «Herr, warum gibt es solche Worte? Das stimmt doch einfach nicht!» Musste man nicht völlig naiv sein, so zu beten? Ja, als er noch Kind war, da war sein Glaube einfach und unkompliziert. Gott war Supermann und auf der Welt gab es nur gut und böse, schwarz und weiss. Der Bibel konnte man blind vertrauen, sie war ja Gottes Wort – und wenn das da so stand, dann war das so!
Erst als Teenager wurde der Glaube für ihn kompliziert. Viel, viel komplizierter. Und im Studium der Theologie wurde er völlig durchgeschüttelt. Und dann: Lisa, die Tochter. Ihre Krankheit, ihre Schmerzen, ihr Leiden und ihr Tod.
Er erinnerte sich an einen Moment am Bett seiner Tochter. Er sass an ihrem Bett und musste hemmungslos weinen. Da nimmt seine Tochter seine Hand, drückt sie und sagt: «Papa, um mich musst du dir keine Sorge machen. Ich weiss, dass Jesus mich festhält. Und im Himmel sehen wir uns wieder!» Seine Tochter hatte das, was ihm verloren gegangen war: einen kindlichen Glauben. Sie sass unter dem Schirm des Höchsten, und sie blieb in ihrer Krankheit im Schatten des allmächtigen Gottes. Sie war es, die zum himmlischen Vater sagte: «Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe»!
Das ist nun Jahre her. Andreas’ Glaube ist ein anderer geworden. Er weiss um die Sorgen und Nöte der Menschen und blendet sie nicht aus. Auch seine eigenen Wunden sind noch nicht ganz verheilt, aber in alledem und mit alledem hat er gelernt, kindlich zu vertrauen und sich bei Gott zu bergen.
Naiver Glaube
Wenn wir mit Jesus und dem Glauben an ihn anfangen, dann ist unser Glaube meist naiv. Wenn es Probleme gibt, dann beten wir eben dafür: Gott wird sich schon kümmern. Man stellt es nicht in Frage. Die Welt ist einfach. Das Leben ist einfach. Es steht so da – dann wird es so sein! In Vielem ist man am Anfang naiv. Man spricht mit Menschen über Jesus und ist überrascht und verwundert, dass sie sich nicht gleich bekehren. Gott erhört doch, Gott greift ein! Als Kind glaubt man, dass der Papi alles weiss und alles kann. Wenn beim Spielen die Vase herunterfällt und in tausend Stücke zerspringt, ist man zu hundertprozentig überzeugt, dass Papi sie reparieren kann. Genauso ist man überzeugt, dass der himmlische Vater alles kann und alles tut.
Der Glaube in dieser Phase ist wie eine mathematische Gleichung, die scheinbar auf den ersten Blick ganz einfach zu lösen ist. Doch dann tauchen nach und nach Fragen und Probleme auf. Dinge, die wir nicht verstehen. Ich habe doch gebetet… Warum hat Gott nicht eingegriffen?
Komplexer Glaube
Vermutlich müssen diese Phasen so sein: Vom naiven zum komplexen Glauben. Naiv heisst ja auch, die Wirklichkeit ausblenden. Naiv ist jemand, der Tatsachen nicht zur Kenntnis nimmt. Der einfach so durch die Welt geht. Dann muss es o kommen: Der schwierige, komplexe Glaube beginnt. Dies geschieht oft in etwa mit dem Eintritt in die Religionsmündigkeit mit 16 Jahren. Dort fordern wir die Jugendlichen ja auch heraus, zu einem eigenständigen mündigen Glauben zu finden. Jetzt heisst es: «So einfach darf man das nicht sehen!» Viele erwachsene Christen leben in Phase zwei – mit einem schwierigen, komplizierten und komplexen Glauben. Abgeklärt. Manche sind längst zynisch oder auch ein wenig hochmütig geworden: «Mach du erst mal meine Erfahrungen, dann wirst du auch sehen, dass die Sache mit der Bewahrung Gottes nicht so einfach ist!» Man belächelt andere. Alles ist kompliziert. Und wenn man dann noch eine naturwissenschaftliche Ausbildung macht, «ist der Kessel erst recht geflickt». In einer aufgeklärten Gesellschaft darf man doch nicht einfach so naiv glauben. Das Motto der Aufklärung lautet ja nicht umsonst: «Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!»
Zu den Begleiterscheinungen in dieser Phase gehören auch verschiedene Arten von Zweifeln. Wie lassen sich wissenschaftliche Erkenntnisse mit der Schöpfungslehre verbinden? Wie kann ein guter Gott so viel Leid in der Welt zulassen? Aus dem Miterleben von schuldlos sterbenden Kindern haben Leute den Entschluss gefasst, Atheisten zu werden. Ist Gott nur Opium für das Volk? Ist Gott nur eine Idee für Menschen, die mit dem Leben nicht zurechtkommen? Warum erleben wir so wenig Heilungen, wenn Jesus doch am Kreuz Krankheit und Tod besiegt hat?
In dieser Phase beginnt man die mathematische Gleichung zu lösen und stellt fest, dass eine seitenlange Zerlegung der Terme folgt und es echt schwierig wird, die Übersicht zu bewahren. Es braucht höchste Konzentration, um keinen Fehler zu machen. Auch ich habe sehr kompliziert geglaubt. Damals bevorzugte ich die Art Bücher, die irgendwie beweisen wollten, dass die Bibel eben doch recht hat und Gott tatsächlich existiert. Folgende Fragen beschäftigten mich: Warum ist das so – und warum hat Gott da nicht gehandelt – und wie konnte das passieren – und was mache ich, wenn …?
Einfältiger Glaube
Genau solche Leute aus der zweiten Phase fordert Jesus heraus: «Dann sagte er: Ich versichere euch: Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, werdet ihr nie ins Himmelreich kommen.» Jesus fordert eine klare Entscheidung: umzukehren und wie die Kinder zu werden. Anscheinend braucht es eine Entscheidung von uns. Viele bleiben gerne beim komplexen Glauben stecken und sonnen sich sogar darin. Sie sind eben intellektuell und haben Grips. Es braucht die Erkenntnis, dass mich mein Fragen und Grübeln nicht weiterbringt. Wir müssen einen anderen Sitzplatz einnehmen. Ich setzte mich nicht mehr unter dem Hagel aus komplizierten Gedanken, ewigen Zweifeln und ständigen Fragen. Ich setze mich unter den Schirm des Höchsten. Und da will ich bleiben, im Schatten des allmächtigen Gottes.
Der einfältige Glaube weiss um die Sorgen und Nöte in dieser Welt. Er blendet sie nicht aus wie der naive Glaube. Er hat sie oft sogar selbst erfahren – und doch entscheidet er sich, Gott in alledem wie ein Kind zu vertrauen. Das ist ein Glaube, der Berge versetzen kann. Es ist dieser einfältige, kindliche, einfache Glaube, der Menschen trägt und sie hält. Der sie selbst in den schlimmsten Situationen ihres Lebens festhält.
In unserer mathematischen Aufgabe kommen wir nun zum herrlichen Moment, in dem plötzlich eine ganz einfache Lösung am Ende steht. Gerade die Einfachheit der Lösung beweist mir, dass ich richtig gerechnet habe! Aber der Weg war nötig. Ich hätte auch die Lösung von meinem Nachbarn abschreiben können, aber dann hätte ich nie gewusst, wieso sie stimmt. Ich hätte auch eine Lösung vermuten können, aber dann wäre ich mir nie sicher gewesen.
Gott, der HERR, spricht: «Denn so viel der Himmel höher ist als die Erde, so viel höher stehen meine Wege über euren Wegen und meine Gedanken über euren Gedanken» (Jesaja 55,9). In der komplexen Phase stossen wir uns an solchen Aussagen. Wenn wir dann aber zu einem demütigen, kindlichen Glauben finden, staunen wir darüber: «Wie wunderbar ist doch Gott! Wie unermesslich sind seine Reichtümer, wie tief seine Weisheit und seine Erkenntnis! Unmöglich ist es uns, seine Entscheidungen und Wege zu begreifen! […] Denn alles kommt von ihm; alles besteht durch seine Macht und ist zu seiner Herrlichkeit bestimmt. Ihm gehört die Ehre in Ewigkeit! Amen» (Römer 11,33-36). Es ist die höchste Form der Anbetung, wenn wir an dem Glauben festhalten, dass Gott gut ist - auch wenn es nicht so scheint.
Wo sitzt du? Sitzt du unter den versengenden Strahlen des Zweifelns und ewigen Abwägens? Oder birgst du dich im Schatten des allmächtigen Gottes? Ich lade dich ein, vor Gott loszulassen. Grübeln, Fragen, Zweifel, Abwägen sterben zu lassen. Es als Sackgasse und Stolz zu erkennen und aus der Hand geben. Sich Gott anvertrauen wie ein Kind. Den Heiligen Geist zu bitten, mir einen einfältigen Glauben zu schenken, der sagt: «Papa – lieber Vater!».
Gestern unterhielt ich mich beim Leidmahl mit einer Frau, die ihren Mann vor ungefähr sieben Jahren verloren hat, als sie 44 Jahre alt war. Sie erzählte von ihrem schweren Weg. Aber auch davon, dass sie heute im Alltag oft von Menschen die Rückmeldung erhalte, dass sie eine besondere Ausstrahlung habe. Für sie ist klar, dass dies eine Folge ihres schweren Schicksals sei. Ein kindlicher, einfacher Glaube ist oft hart erkämpft. Aber er hat Ausstrahlungskraft, die mich berührt. Diese Menschen erleben eine Geborgenheit in Gottes Gegenwart, die mich tief bewegt und von der ich mich anstecken lassen will.
Mögliche Fragen für die Kleingruppen
Bibeltext lesen: Matthäus 18,2-4
- Wie zeigen sich in der Geschichte von Andreas die verschiedenen Phasen des Glaubens?
- Die meisten Christen halten sich im Bereich des komplexen Glaubens auf. Wo siehst du bei dir komplexe oder komplizierte Anteile? Wie gehst du damit um?
- Was unterscheidet den naiven vom einfältigen Glauben?
- Warum ist es erstrebenswert, zu einem kindlichen Glauben zu finden? Was bedeutet es, unter dem Schirm des Höchsten zu sein?
- Hast du die Entscheidung schon getroffen, wie ein Kind zu werden? Betet doch füreinander um einen kindlichen Glauben!