Furcht des HERRN – heute noch?
Serie: Heilig - Heilig - Heilig | Bibeltext: Sprüche 9,10; 15,33
Ist die Furcht des HERRN ein Ladenhüter mit Ablaufdatum oder heute noch aktuell? Die normale Reaktion eines Menschen, der Gott in seiner Heiligkeit begegnet, ist Ehrfurcht und Respekt. Wo diese Gottesfurcht fehlt, wird Gott zum Mittel anstatt zum Mittelpunkt des Lebens. Ein solcher Glaube ist jedoch weder krisensicher noch führt er zu einem erfüllten Leben. Deshalb sollte unser grosses Bestreben darin bestehen, diesem Gott in Seiner Majestät, Grösse und Herrlichkeit zu begegnen.
Im letzten Gottesdienst am Abend erhielten wir einen Einblick in die unsägliche Leidensgeschichte von Andreas H. Für mich waren ein paar Aussagen sehr eindrücklich: «Heilung ist möglich. Bei mir hat sie nicht stattgefunden. Gott weiss warum.» Oder: «Ich bin sein Geschöpf. Klagen gegen meinen Schöpfer liegt mir fern.» Ein Mensch kann im Leiden nur so reden, wenn Gott nicht Mittel, sondern Mittelpunkt ist in seinem Leben.
Eine normale Reaktion
Im Buch der Offenbarung beschreibt Johannes, wie er von einem Augenblick auf den nächsten in den Himmel versetzt wird. In einer Vision sieht er, wie die 24 Ältesten, die Repräsentanten aller Menschen, die Jesus nachfolgen, vor dem heiligen Gott niederfallen, Ihn anbeten, ihre Kronen niederlegen und sagen: «Du bist würdig, unser Herr und Gott, Herrlichkeit und Ehre und Macht entgegenzunehmen. Denn du hast alle Dinge geschaffen; weil du es wolltest, sind sie da und wurden sie geschaffen» (Offenbarung 4,11 NLB). Ähnliches beobachten wir bei anderen Gottesbegegnungen, die in der Bibel geschildert werden. Zu schön, zu schrecklich, zu erhaben ist Gott auf seinem Thron, als dass irgendjemand vor Ihm gelassen bleiben und sich nicht vor Ihm niederwerfen könnte. «[...] um Gott her ist Furcht erregende Herrlichkeit.» (Hiob 37,22 EU). Die Reaktion auf die Heiligkeit, Majestät und Schönheit Gottes kann nur die Furcht des HERRN sein. Ehrfurcht, Respekt, Schweigen, Staunen, Niederfallen sind Ausdruck dieser Furcht. Ist diese heute noch gefragt oder lediglich ein Ladenhüter mit Ablaufdatum?
Welches Bild haben wir vor Augen, wenn wir an den Thron Gottes denken? Sitzt dort noch der heilige Gott? Wenn wir die Heiligkeit verlieren, verlieren wir auch die Ehrfurcht. Wie faszinierend ist es doch, dass wir uns Gott trotz seiner Heiligkeit nähern dürfen, obwohl das eigentlich unmöglich sein müsste. Zu heilig ist er, zu unheilig ist der Mensch.
Ich erinnere mich, wie mir eine Holländerin in meiner Praktikumszeit in Pratteln vor 25 Jahren erzählte, wie sie ihre Eltern noch per Sie ansprach. Auch in der Schweiz benutzten Kinder vor ein paar Jahrzehnten noch das Ihr (2. Person plural). Die Kinder hatten Ehrfurcht vor ihren Eltern und getrauten am Esstisch kaum einen Mucks zu machen. Diese ungesunde Haltung hat sich bisweilen in eine beinahe zu grosser Vertrautheit gewandelt. Eine ähnliche Pendelbewegung geschah in unseren Kirchen. Aus einem strengen, richterlichen, unnahbaren Gott wurde der liebende Vater, der kaum mehr Kontur aufweist.
Eine neue Grundhaltung
Gottesfurcht ist im Unterschied zur Angst kein Gefühl, sondern eine Haltung. Angst ist in der Begegnung mit Gott fehl am Platz. Ehrfurcht und Staunen Ihm gegenüber hingegen nicht. Gott ist das einzige Wesen, das die Kraft hat, eine Welt voller Schönheit und Leben zu schaffen. ER ist vollkommen, die Quelle allen Lebens. ER ist der Schöpfer, wir sind seine geliebten Geschöpfe. ER ist der Mittelpunkt und nicht das Mittel.
Aus Ehrfurcht legen wir vor Gott unsere Kronen nieder. ER ist der HERR, wir sind seine Diener. Die Furcht des HERRN widerspiegelt eine Haltung des Dienens und der Demut. Diesen Zusammenhang finden wird von Salomo beschrieben: «Die Ehrfurcht vor dem HERRN lehrt die Menschen Weisheit; der Ehre geht Demut voraus» (Sprüche 15,33 NLB). Beim Modell Gott ist Mittel sitzt unser Ego auf dem Thron, wir beten es an. Im Mittelpunkt steht der Mensch und dass es ihm möglichst gut gehe. Jesus ist dafür zuständig, dass ich keine Probleme mehr habe. ER wird zur Lebensversicherung, die im Schadensfall sofort in Kraft tritt. Das Ego-System führt nicht zum Leben und spätestens in schwierigen Leiderfahrungen zum Schiffbruch. Eine Ursache dieses Modells ist die Reduktion Gottes auf seine Liebe und die Degradierung Gottes zu einem onkelhaften Über-Gutmenschen. Die Bibel nennt dies Torheit. Torheit bedeutet, nicht in Kontakt zu sein mit der Realität.
In Hiobs tiefstem Leid empfahl ihm seine Frau, dass er sich doch von Gott lossagen soll. Weil Hiob mit Gott als Mittelpunkt lebte, antwortete er seiner Frau: «Du sprichst wie eine Frau, die dumm und gottlos ist. Sollen wir das Gute aus Gottes Hand nehmen, das Schlechte aber ablehnen?» (Hiob 2,10 NLB). Einen solchen Satz kann nur sagen, wer Gott fürchtet. Die Definition von Furcht des HERRN ist wissen, mit wem man es zu tun hat. Wir bringen diese Haltung in der Anbetung zum Ausdruck, denn wir beten das an, was auf unserem Thron ist. Gottesfurcht ist ein Ausdruck dessen, dass Gott auf meinem Lebensthron sitzt.
Ein erfülltes Leben
In Sprüche 9,10 steht: «Der Weisheit Anfang ist die Furcht des HERRN, und den Heiligen erkennen, das ist Verstand.» (LUT). Die Gottesfurcht wird also der Anfang der Weisheit genannt. Weisheit hat nichts mit Wissen und Intelligenz zu tun, sondern mit der Kompetenz des Lebensvollzugs. Alle anderen Wahrheiten über das Leben stehen unweigerlich auf diesem Fundament. Steht deshalb das Gebot «Du sollst ausser mir keine anderen Götter haben» (2Mose 20,3 NLB) an erster Stelle der Zehn Worte, weil es den Bezugsrahmen für alles andere im Leben darstellt? Wenn du das weise Leben suchst, dann muss Gott Mittelpunkt sein. Das heisst nicht unbedingt: reicht, gesund, erfolgreich. Aber das heisst: geliebt, erwählt, berufen. Das ist unsagbar mehr!
Unser Vorfahren bezeichneten den Gottesdienstbesuch als «unter das Wort Gottes gehen». Ohne die Ehrfurcht vor Gott tun wir das nicht, sondern gehen über das Wort. Wir sind der Massstab und das Wort muss unserem Empfinden und Ego dienen. Gottes Weisungen werden nur noch dann als verbindlich genommen, wenn sie meinem Bestreben und meinen Gefühlen nicht gegen den Strich gehen. Wenn wir Gottes Wort für unser Leben verstehen wollen, geht es nicht ohne Ehrfurcht vor Gott. Die Furcht des HERRN macht, dass wir nicht die eigenen Interessen und Bequemlichkeiten suchen, sondern bereit werden, einem grösseren Ziel zu folgen.
König David bringt in einem seiner Psalmen zwei Verben in einen interessanten Zusammenhang: «SEIN Einvernehmen ist der ihn Fürchtenden (jare), sein Bund ists, sie erkennen zu lassen (jada)» (Psalm 25,14 Buber-Rosenzweig). Beim hebräischen Parallelismus wird in zwei Zeilen das Gleiche in anderen Worten ausgedrückt. Gott fürchten und Gott erkennen gehören unzertrennlich zusammen. Jada ist das Wort für die intimste Form der Gemeinschaft. Aus der Intimität mit Gott erwächst die Furcht zu Ihm, und in der Ehrfurcht vor Gott erkennen wir Ihn tiefer. Neues Leben übersetzt: «Die Freundschaft mit dem HERRN gebührt denen, die ihn ernst nehmen. [...].» Ein heiliges Leben entsteht aus der Intimität mit Gott, zu der wir uns allerdings entscheiden und die wir suchen müssen – so wie Jesus es getan hat. Nicht das Erkennen unseres selbstgemachten Bildes von Gott führt zur Ehrfurcht, sondern die direkte Begegnung mit dem ganz Anderen.
Wer Gott fürchtet, betet anders. Im Film «Shadowland» sagen die Professorenkollegen zu C.S. Lewis: «Jetzt endlich hat Gott ihre Gebete erhört.» Darauf erwidert Lewis: «Deswegen bete ich aber nicht. Ich bete, weil ich nicht mehr weiterweiss. Ich bete, weil ich hilflos bin. Ich bete, weil das Bedürfnis mich einfach überwältigt, ob ich wache oder schlafe. Es verändert nicht Gott, es verändert nur mich.» Wer Gott fürchtet, betet nicht mehr darum, um seine Ziele zu erreichen, sondern um immer mehr in Gottes Geheimnis einzutauchen. Übrigens machte Lewis seine Aussage in einer Situation, in der seine frisch verheiratete Frau lebensbedrohlich an Krebs erkrankt ist. Wer Gott in den Mittelpunkt seines Lebens gesetzt hat, wird krisenresistent.
Der Strom des Lebens, der die Fülle des Lebens bringt, entspringt aus dem Allerheiligsten des Tempels. Der Ruf zur Heiligkeit ist der Aufruf zur Fülle des Lebens. Nirgends anders ist eine solche Lebendigkeit, eine solche Erfüllung, ein solches Glück, ein solches Staunen über die Schönheit Gottes zu finden. Suchst du ein erfülltes Leben? Du findest es nur, wenn du Gottes Heiligkeit suchst!
Eine Sendereihe im TV heisst «Bares für Rares». Alter Krimskrams oder edle Rarität? Die Furcht des HERRN ist kein Ladenhüter, sondern eine Rarität von unfassbar hohem Wert.
Wie kann die Furcht des HERRN unter uns wachsen? Wenn wir Gottes Heiligkeit ernstnehmen und Ihn darin erkennen! Wir wollen dieses unverfügbare Geheimnis in unseren Gottesdiensten bestaunen und uns so seine Heiligkeit wöchentlich vor Augen führen. Gottesdienst ist Begegnung mit dem ganz Anderen. Das muss bedacht werden und gefeiert sein – und unterscheidet einen Gottesdienst von jeder Unterhaltungsabend.
In Offenbarung 5 sieht Johannes in einer Vision zwei Tiere: ein Lamm und ein Löwe. Beide Tiere sind Symbole für Jesus Christus. Das Lamm erinnert an die vielen Lämmer, die nur deshalb beim Tempel geopfert wurden, damit die Menschen angesichts der Heiligkeit Gottes nicht sterben mussten. Jesus hat sein Leben für uns ein für alle Mal zu diesem Zweck dahingegeben. Wer an Jesus Christus glaubt und Ihn zum Mittelpunkt seines Lebens macht, muss in Gottes Gegenwart nicht vergehen, sondern darf fest mit Seiner Gnade rechnen. Jesus ist aber auch der Löwe. Das Bewusstsein über Seine Heiligkeit lässt uns über seine Erlösung umso mehr staunen und macht sie enorm wertvoll.
Mögliche Fragen für die Kleingruppe
Bibeltext lesen: Sprüche 9,10
- Was für Assoziationen löst bei dir der Begriff Furcht des HERRN aus?
- Gehört die Gottesfurcht in die Zeiten des Mittelalters, als die Kirche einen strengen Richter für ihre Machtansprüche brauchte, oder hat sie heute noch eine Bewandtnis?
- Was ist der Unterschied zwischen Angst und Gottesfurcht? Beschreibe die Furcht des HERRN.
- Gott – Mittel oder Mittelpunkt? Was hat dieser Slogan mit Gottesfurcht zu tun?
- Was sind die Früchte der Furcht des HERRN?
- Was passiert im Leben eines Christen, wenn die Gottesfurcht fehlt?