Schöpfung & Glaube | Gute Nachricht für die ganze Schöpfung

Datum: 11. Mai 2025 | Prediger/in:
Serie: | Bibeltext: Kolosser 1,16-17; Markus 16,15; 3. Mose 25,1-23

Über Jahrzehnte hatte kaum eine Freikirche das Thema «Haushalterschaft über die Schöpfung» auf dem Radar, obwohl es Gottes erster Auftrag an die Menschen war. Gott liebt nicht nur die Menschen, sondern die ganze Schöpfung. Es ist auch die ganze Schöpfung, die sich nach Erlösung sehnt. Vielleicht befiehlt Jesus deshalb: «Geht in die ganze Welt und verkündet der ganzen Schöpfung das Evangelium!» (Markus 16,15 NGÜ). Kirchen sind Hoffnungsorte mit viel Potenzial zur Weltveränderung.


Mein Schwiegervater war mit weiteren Mitstreitern ein Pionier für die Grüne Bewegung in Romanshorn. Während 25 Jahren war er Präsident des Vogel- und Naturschutz Romanshorn und sieben Jahre lang war er – auch hier ein Vorreiter – Kantonsrat der Grünen Thurgau. Dabei hat er eine grundsolide Politik betrieben, ohne dass er einer linksautonomen oder gar atheistischen Ideologie aufgesessen wäre. Was er nicht verstehen konnte, was dass wir ‘Freikirchler’ das Thema Haushalterschaft über die Schöpfung kaum auf dem Radar hatten. Und ich begriff nicht, warum ihm dieses Thema so wichtig war. Im christlichen Glauben geht es doch um die wichtigen Dinge, um Menschen, und darum, dass sie Gott persönlich kennenlernen!

Ein verhängnisvoller Dualismus

Ein Forschungsteam der CVJM-Hochschule Kassel hat eine sogenannte Gerechtigkeits-Nachhaltigkeitsstudie (Ge-Na Studie) unter 2561 aktiven Nachfolgern Jesu aus Deutschland und der Schweiz durchgeführt. 57,4 Prozent der Befragten gaben an, dass das Christentum eine Mitschuld an Umweltproblemen trägt, da es lange Zeit kein Verständnis für ökologische Anliegen hatte.

Das stimmt mit der Erfahrung überein, dass im traditionellen freikirchlichen Kontext, in dem ich aufwuchs, Kirche und Welt klar getrennt wurden. Die erlebte Liebe zu Jesus war wichtig, die Welt war schwerpunktmässig zu meiden. Auch habe ich den vielleicht berühmtesten Satz der Bibel lange falsch gelesen. «Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern das ewige Leben hat» (Johannes 3,16 NLB). Durch meine Brille lautete er: «Denn Gott hat die Menschen so sehr geliebt.» Heute vertreten noch knapp ein Drittel die klassisch Evangelikale Position, dass Evangelisation wichtiger sei als Nachhaltigkeit. Bezeichnend ist, dass Christen, die an die eschatologische (endzeitliche) Schaffung einer neuen Welt glauben, sich tendenziell weniger nachhaltig zeigen und weniger Engagement für Nachhaltigkeit haben. Der Gedanke dahinter ist wohl, dass man einer Welt, die sowieso bald kaputt geht, nicht mehr viel Aufmerksamkeit schenken muss.

Der Dualismus, die Trennung von Natur und Geist und die Abwertung der natürlichen, materiellen Dinge, lehrt uns die Bibel nicht. Sie ist eine Prägung vor allem durch griechische Philosophie. Viele gerade im freikirchlichen Kontext sind nicht nur mit einem empfundenen «richtigen Verständnis der Bibel» aufgewachsen, sondern auch mit dieser dualistischen Brille. Ich muss eingestehen, dass ich ein sehr grundlegendes Denkmuster falsch gelernt und in die Bibel hineingelesen habe.

Jesus liebt die ganze Schöpfung

Für uns ist es wichtig, dass wir das gesamte biblische Weltbild in den Blick bekommen. Damit meine ich das Gesamtbild von Schöpfung, Fall, Kreuz, Auferstehung, Wiederherstellung der ganzen Schöpfung und Wiederkommen von Jesus. Jesus war von Anfang an. Wir sollten dieses grosse Bild als Orientierungsrahmen in den Fokus rücken. Ein Akzent daraus: der «Jesus von Anfang an». Jesus (und mit ihm das Evangelium) fängt ja nicht erst mit Weihnachten, nicht am Kreuz und Auferstehung an. Jesus ist von Anfang an einer von dem «Wir» der Schöpfung: «Da sprach Gott: ‘Wir wollen Menschen schaffen nach unserem Bild, die uns ähnlich sind’» (1Mose 1,26 NLB).

Im Kolosserbrief lesen wir, dass Er «vor aller Schöpfung» war. Die gute Nachricht von Jesus Christus hat seinen Ausgangspunkt in der guten Nachricht, dass Jesus aus Liebe die gesamte Welt gestaltet. «Durch ihn hat Gott alles erschaffen, was im Himmel und auf der Erde ist. Er machte alles, was wir sehen, und das, was wir nicht sehen können, ob Könige, Reiche, Herrscher oder Gewalten. Alles ist durch ihn und für ihn erschaffen. Er war da, noch bevor alles andere begann, und er hält die ganze Schöpfung zusammen» (Kolosser 1,16+17 NLB). «Durch ihn [seinen Sohn] hat er das ganze Universum und alles, was darin ist, geschaffen» (Hebräer 1,2 NLB).

Wir müssen beachten, dass der Begriff Welt in der Bibel auf zweifache Weise verstanden wird. Einerseits ist damit ein Denkmuster mit entsprechender Verhaltensweise gemeint, welches unter dem Einfluss der Sünde korrumpiert ist. Sie zeichnet sich durch Ichbezogenheit, Habgier und Rücksichtslosigkeit aus. Darüber spricht Johannes: «Denn jeder, der aus Gott geboren ist, siegt über die Welt. Diesen Sieg macht uns unser Glaube möglich: Er ist es, der über die Welt triumphiert hat.» (1Johannes 5,4 NGÜ). Diese Art von Welt gilt es nicht zu lieben, sondern zu überwinden. In diesem Sinn sagt Paulus: «Richtet euch nicht länger nach ‘den Massstäben’ dieser Welt, sondern lernt, in einer neuen Weise zu denken, damit ihr verändert werdet und beurteilen könnt, ob etwas Gottes Wille ist – ob es gut ist, ob Gott Freude daran hat und ob es vollkommen ist» (Römer 12,2 NLB).

Andererseits ist die Welt auch die Geliebte, für die als Ganze sich Jesus hingab (Johannes 3,16). Damit ist die materielle, sichtbare Schöpfung gemeint. Die unzähligen Galaxien, die Himmelskörper, Menschen aller Ethnien, Flora und Fauna genauso wie alle Mikroorganismen. Im gleichen Mass, wie ein Jesusnachfolger die weltlichen Denkmuster überwinden soll – wir nennen dies auch Heiligung – gilt es die Schöpfung in allen Facetten zu lieben. Beides ist Bestandteil der Nachfolge Jesu. Die Liebe zum Schöpfer schliesst die Liebe zu seinen Geschöpfen mit ein. Wir können nicht sagen, dass wir Gott lieben und gleichzeitig dem Seufzen der Schöpfung gleichgültig gegenüberstehen.

Diesen Aspekt der Nachfolge hat mein Schwiegervater wohl zurecht vermisst. Durch meine damalige Brille verstand ich ihn nicht. Ökologie, die Haushalterschaft über die Schöpfung, ist nicht nur ein netter Zusatz zur Jesus-Nachfolge, zu Evangelisation und Heiligung, sondern essenzielle, grundlegende und lebensnotwendige Anerkennung von Jesus und dem dreieinen Gott. Für Jesusnachfolger ist die Bewahrung und kreative Gestaltung der Schöpfung nicht eine beliebige Option, sondern Anerkennung von Jesus als Gott und Herrn über alles.

Die Schöpfung seufzt

In der Bibel wird die Schöpfung von Anfang an mitgedacht. Nach jedem Schöpfungstag spricht der dreieinige Gott ein «Und es war gut!» aus. Der Mensch bekam eine Sonderstellung mit dem Auftrag, die restliche Schöpfung zu bebauen und zu bewahren. Doch bevor er die Aufgabe der Haushalterschaft über die Schöpfung (Ökologie) wahrnehmen sollte, wurde ihm ein freier Tag, der Sabbat, geschenkt. Mit dem Sabbat legt Gott dem Menschen einen 6:1-Rhythmus ins Leben. Am Sabbat soll der Mensch seinen gewohnten Alltag unterbrechen, ruhen, sich an Gottes Gnade in seinem Leben erinnern und Gutes tun. Ebenso ist der Sabbat ein Hinweis auf die Neuschöpfung, den neuen Himmel und die neue Erde. «Es gibt also noch eine besondere Ruhe [wörtlich: Sabbatruhe] für das Volk Gottes, die noch in der Zukunft liegt» (Hebräer 4,9 NLB).

Der Sabbat ist ein geniales Geschenk von Gott für den Menschen. Aber nicht nur für die Menschen, sondern für die gesamte Schöpfung: «Wenn ihr in das Land kommt, das ich euch gebe, soll auch das Land selbst einen Sabbat für den HERRN einhalten. Sechs Jahre lang dürft ihr eure Felder bestellen, eure Weinberge beschneiden und eure Ernte einbringen. Im siebten Jahr aber soll das Land ein Sabbatjahr – eine Ruhezeit für den HERRN – haben. Während dieses Jahres sollt ihr nichts aussäen und eure Weinberge nicht beschneiden» (3Mose 25,2-4 NLB).

Noch erstaunlicher ist die Institution des Erlassjahres. Gott hat den Israeliten die Weisung gegeben, dass nach 7 mal 7 Sabbatjahren die Posaune für die Ankündigung des Erlassjahres geblasen werden soll. Dies bedeutete, dass versklavte Menschen und veräusserte Grundstücke zurück an die Ursprungssippen gegeben werden mussten. Es war wie das Drücken der Reset-Taste. Damit wurde verhindert, dass die sozialen Unterschiede immer grösser wurden. Es war nie Gottes Absicht, dass wenige Prozente der Erdbevölkerung beinahe den ganzen Reichtum unter sich aufteilen.

Die Weisung Gottes zielt auf folgende Aussage hin: «Das Land darf nicht für immer verkauft werden, denn es gehört mir. Ihr seid nur Fremde und Gäste, die in meinem Land leben» (3Mose 25,23 NLB). Die Tatsache, dass wir nur Gäste auf dieser Erde sind, soll einen Einfluss auf unsere Beziehung zum Land haben. Maria Pappa, die St.Galler Stadtpräsidentin, rät in einer Zeitung angesichts der weltpolitischen Herausforderungen zu mehr Demut: «Wir Menschen sollten und bewusst sein, dass wir Gäste auf dieser Erde und von ihr abhängig sind - und nicht umgekehrt.» Wenn wir in die Sabbat-, Abgabe- und Erlassgebote im Alten Testament schauen, dann geht es immer um Gerechtigkeit auf drei Ebenen: sozial, ökologisch und ökonomisch.

Auch im Neuen Testament sagt Jesus: «Geht in die ganze Welt und verkündet der ganzen Schöpfung das Evangelium!» (Markus 16,15 NGÜ). Nachhaltiges Leben, sozialgerechtes Handeln und das Sprechen von Kreuz und Auferstehung sind gleichwertige und untrennbare Teile des einen Evangeliums und beziehen sich immer auf die gesamte Schöpfungsgemeinschaft.

Unserer Schöpfung geht es schlecht. Nicht nur die Menschen können Schmerzen empfinden, nein, die ganze Schöpfung kann es. Paulus formuliert es so: «Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt, wie unter den Schmerzen einer Geburt» (Römer 8,22 NLB). Die ganze Schöpfung leidet seit dem Sündenfall unter der Habgier und dem Egoismus in dieser Welt. Wie die Menschen, braucht auch die übrige Schöpfung Erlösung. Und – genauso wie Jesusnachfolger in der kommenden Welt einen neuen Körper erhalten, wird die ganze Schöpfung neu gemacht werden. Es wird einen neuen Himmel und eine neue Erde geben. Der Auferstehungsleib von Jesus war seinem vorherigen Leib ähnlich. Seine Freunde erkannten ihn noch und konnten ihre Finger in die Wundmale legen. Und doch hatte dieser neue Körper ganz neue Möglichkeiten. Jesus tauchte in geschlossenen Räumen auf und war plötzlich wieder weg. Genauso wird es auch mit der neuen Schöpfung sein. Sie wird die Spuren der jetzigen Welt tragen, und doch um ein Vielfaches herrlicher sein.

Jesus hat am Anfang seines Dienstes auf dieser Welt prophetische Worte von Jesaja auf sich bezogen: «Ich verkünde ihnen ein Jahr, in dem der Herr seine Gnade zeigt» (Lukas 4,19 HFA). Der griechische Text macht es eindeutig: es handelt sich um ein Erlassjahr und somit um Befreiung, soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit. Jesus bringt also Gnade für Menschen genauso wie für den Rest der Schöpfung. Ein Jesusnachfolger ist ein Mensch, der diese Gnade für sich angenommen hat. Dadurch erhielt er einen neue Identität; er gehört jetzt zur Gottes Familie. Aus diesem Sein heraus, gilt es den Herzschlag Gottes zu fühlen und mit Ihm die ganze Schöpfung zu lieben. Aus Seiner Kraft heraus können wir Teil der Lösung, anstatt Teil des Problems sein.

 

Mögliche Fragen für die Kleingruppen

Bibeltext lesen: 3. Mose 25,1-23

  1. Wie wurdest du mit dem Thema «Glaube & Schöpfung» sozialisiert? Welche Rolle spielte das Thema in deiner kirchlichen Vergangenheit?
  2. Bist du mit der Aussage, dass Ökologie (Haushalterschaft über die Schöpfung) genauso zur Jesusnachfolge gehört wie Evangelisation und Heiligung?
  3. Was bedeutet es, der ganzen Schöpfung das Evangelium zu verkündigen (Markus 16,15)?
  4. Wie denkst du über die Beziehung zwischen aktueller Schöpfung und Neuschöpfung? Warum lohnt es sich, Sorge zu unserer Welt zu tragen?
  5. Die Liebe zum Schöpfer schliesst die Liebe zu seinen Geschöpfen mit ein. Wie können wir den Schöpfer, wie seine Geschöpfe lieben?