Prüft alles und behaltet das Gute
Serie: Folge du mir nach | Bibeltext: 1. Thessalonicher 5,16-22
Mit dem Satz «Prüft alles und behaltet das Gute» (1Thessalonicher 5,21) fordert Paulus zuerst die damalige Kirchgemeinde in Thessaloniki, aber auch uns, zu einer vertrauensvollen Offenheit gegenüber dem Heiligen Geist heraus. Dabei dürfen die Zuhörer durchwegs auch kritisch sein und haben die Aufgabe, das Gehörte zu prüfen. Was sind geeignete Kriterien für diese Prüfung?
«Prüft alles und behaltet das Gute» (1Thessalonicher 5,21 EU) – so lautet die Herrnhuter Jahreslosung 2025. Spontan leuchtet der Rat ein. Niemand denkt, dass man alles naiv glauben oder nichts ernsthaft prüfen sollte. Was zunächst banal klingt, wird mit seinem Kontext speziell: Im biblischen Kontext geht es um die Prüfung geistgewirkter Prophetie.
Der erste Brief an die Thessalonicher ist der älteste Brief des Neuen Testaments. Er wurde wahrscheinlich etwa 50 n.Chr. geschrieben. Somit finden wir in diesem Brief die ältesten Hinweise auf das Wirken des Heiligen Geistes in der frühen Kirche. Die grossen Streitigkeiten über den christlichen Umgang mit Fragen der Tora, der Beschneidung oder des Zusammenlebens der verschiedenen Menschen in der Gemeinde stehen noch aus. So beinhaltet der Brief lediglich drei Themen: 1. Die Erwählung durch Christus, 2. die Erwartung seines baldigen Erscheinens und 3. die gemeinsame Identität durch eine Praxis der Liebe (Nachfolge).
Vertrauensvolle Offenheit für den Heiligen Geist
Paulus liegt an einer offenen, furchtlosen, erwartungsvollen und neugierigen Grundhaltung gegenüber dem Heiligen Geist und seinen guten Gaben. Im unmittelbaren Kontext geht es um das geistbestimmte Leben der Gemeinde: «Seid immer fröhlich. Hört nicht auf zu beten. Was immer auch geschieht, seid dankbar, denn das ist Gottes Wille für euch, die ihr Christus Jesus gehört.» (1Thessalonicher 5,16-18 NLB). Mit freuen, beten und danken markiert Paulus geistgewirkte Grundzüge des christlichen Glaubens.
Und dann kommt Paulus ausdrücklich auf den Heiligen Geist und dessen Äusserungen zu sprechen: «Unterdrückt den Heiligen Geist nicht. Verachtet das prophetische Reden nicht» (1Thessalonicher 5,19f NLB). In Thessaloniki traten offensichtlich Gemeindeglieder prophetisch auf und beanspruchten für sich, geistbegabt und -inspiriert zu reden. Anscheinend waren ekstatische Erfahrungen üblich. Sollte man da nicht zuerst mal eine kritische Distanz walten lassen? Wenn Paulus mahnt, den Heiligen Geist nicht zu unterdrücken, gab es zumindest eine Gruppe, der es zu bunt wurde und vielleicht am liebsten auf das übernatürliche Wirken des Geistes Gottes verzichten würde.
Was hat die Anweisung «prüft alles und behaltet das Gute» mit uns in einer abgeklärten gut schweizerischen Kirche, wie es die seetal chile ist, zu tun? Zudem steht uns im Unterschied zu den Thessalonichern die ganze Bibel inkl. Neues Testament zur Verfügung, wo dich alles drinsteht.
Als erstes gilt auch für uns die Ansage, den Heiligen Geist nicht zu unterdrücken, das Feuer nicht zu löschen (vgl. Epheser 4,30). Wäre es nicht schön und richtig, wenn es unter uns manchmal etwas beGEISTerter und enTHUSsiastischer her und zu gehen würde? Der Geist begeistert und Gott (Theos) macht enthusiastisch. Die Wirkungen und Manifestationen des Geistes Gottes sind vielfältig, das gilt es auszuhalten und schätzen zu lernen. Es würde unser Gemeindeleben und unsere persönliche Beziehung mit Jesus befeuern, wenn der Geist Gottes etwas mehr Raum unter uns bekäme. Die Jahreslosung will uns nicht verschliessen, sondern öffnen. Und zwar für das, was uns das Leben, der Geist des Lebens an Gutem zukommen lässt.
Die von Paulus empfohlene Offenheit gegenüber dem Geist Gottes ist für uns heute bedeutsam. Denn unsere Haltung zu jemandem oder etwas entscheidet mit darüber, was wir erfahren. Mit ängstlicher Skepsis schneiden wir uns von vornherein von bestimmten Erfahrungen der Geistesgegenwart Gottes ab. Wenn der Satz «Prüft alles» unsere Erfahrung hemmt, gibt es bald auch nichts mehr zu prüfen.
Dieses Jahr haben wir erlebt, wie der Heilige Geist einigen Menschen den Eindruck gab, dass wir uns in der seetal chile dem Thema Vergebung annehmen sollen. Wir haben den Impuls aufgenommen und es ist viel Gutes draus entstanden.
Die Jahreslosung 2025 ermutigt uns, uns vor Neuem und Ungewohnten nicht zu fürchten, sondern alles mit einem offenen Blick zu betrachten, sorgfältig zu prüfen und im Gespräch zu bleiben. So bleibt unser Glaube lebendig und schafft Freiräume. Ich wünsche mir, dass wir sowohl Altes als auch Neues mit frischen Augen entdecken dürfen.
Kritisches Vertrauen
«Prüft alles [...]» Wenn ich eine neue Maschine baue und wissen will, wie lange sie hält, muss ich die relevanten Bauteile zur Materialprüfstelle Empa bringen. Dort wird der Werkstoff auf Herz und Niere geprüft. Prüfen können sie aber nur Bauteile, die zu ihnen ins Labor geliefert werden. Wenn sie im Empfang steckenbleiben, gibt es keinen Prüfprozess. Auch im geistlichen Sinn können wir nur prüfen, wenn wir das Gehörte zuerst entgegennehmen. Dies erfordert einen Vorschuss an Vertrauen. Mit ängstlicher Skepsis schneiden wir uns von vornherein ab von bestimmten Erfahrungen der Geistgegenwart Gottes.
Es ist herausfordernd, dass Paulus keine blinde Unterwerfung unter das geistliche Reden von Gott fordert. Bei ihm findet die geistgewirkte Prüfung durch die Gemeinde einen Vorrang vor der geistgewirkten Äusserung. Jeder religiöse Geltungsanspruch muss sich der gemeinsamen Prüfung unterwerfen. Niemand kann sich anmassen, eindeutig und allgemeingültig zu sagen, was gut oder schlecht ist, weder Paulus noch die prophetisch Begabten noch sonst wer. Entscheidend ist ein geistgeleiteter gemeinsamer Prozess. Die Geisterunterscheidung ist genauso eine Geistesgabe wie das prophetische Reden.
Paulus traut den Thessalonichern zu, dass sie Gesagtes prüfen können, obschon ihnen das Neue Testament noch nicht vorliegt. Ebenso verzichtet er darauf, im Detail vorzugeben, was richtig und falsch ist. Er vertraute darauf, dass der Geist Gottes ihnen in der Gemeinschaft zu einem richtigen Urteil verhilft.
Uns steht heute ein riesiger religiöser Markt an Büchern, Podcasts und Predigten per Knopfdruck zur Verfügung. Wenn wir solche Medien konsumieren, sollten wir dies auch mit kritischem Vertrauen tun. Ein wichtiges neutestamentliches Prüfkriterium haben wir nicht zur Hand, nämlich den Einblick ins Leben des Verkündenden. Hoch im Kurs und sehr aktiv sind aktuell Vertreter des Dekonstruktivismus und Postevangelikalismus. Beide Bewegungen teilen das Interesse an der kritischen Auseinandersetzung mit traditionellen religiösen Konzepten und der Reformation des Glaubens. Obschon das Hinterfragen von traditionellen Positionen durchwegs gewünscht sind, bleibt doch die Frage nach dem ‘Unaufgebbaren’, nach dem verlässlichen Fundament, nach den absoluten Wahrheiten.
Geeignete Prüfkriterien
Geistgewirktes Reden ohne vernünftige Verantwortung ist Schwärmerei. Wie umgekehrt eine völlig durchschaute und abgesicherte Dogmatik ein kraftloser Schatten bleibt. Deshalb gilt: «[...] behaltet das Gute.» Mit der Fortführung in Vers 22 ist die Jahreslosung verknüpft durch den Gegensatz von Gut und Böse: «Meidet das Böse in jeglicher Form!» (1Thessalonicher 5,22 NLB). Es gibt Gutes und Böses – doch wie können wir es unterscheiden?
Beim Prüfen befinden wir uns zwischen zwei Polen: Einerseits hat bereits Salomo gesagt, dass es nichts Neues unter der Sonne gibt (Prediger 1,9). Es ist sehr suspekt, wenn jemand eine revolutionär neue Lehre bringt oder sich und seine Bewegung mit absoluten Begriffen kennzeichnet, wie z.B. Last Reformation. Andererseits sollten wir immer wieder aus unseren «Echokammern» aussteigen und uns von neuen Gedanken herausfordern lassen. Echokammer meint, dass wir uns vorzugweise Referenten bzw. Lehrmeinungen aussetzen, die unsere eigene Meinung vertreten. Wir fühlen uns wohl, wenn unsere gefestigte Meinung bestätigt wird, und lassen es kaum zu, uns durch andere Gedanken zu hinterfragen. Ich bin in einem Umfeld aufgewachsen, in dem die kommenden Dinge klar geregelt und aufgezeichnet waren: Zuerst kommt der grosse Abfall, dann die Entrückung, die grosse Trübsal, das zweite Kommen Christ, das 1000-jährige Reich und dann das Endgericht. Ich glaubte jahrelang, dass dies biblische Wahrheit ist, die von der weltweiten Welt geteilt wird. Die Jahreslosung möchte beliebt machen, uns mit grosser Offenheit auf Neues einzulassen, und dies zu prüfen.
Was sind geeignete Prüfkriterien?
- Gabe der Geisterunterscheidung: In Thessaloniki war dies das wichtigste Prüfinstrument. Meine Erfahrung diesbezüglich ist, dass oft Menschen diese Geistesgabe für sich beanspruchen, die die zu prüfenden Bauteile schon gar nicht ins Labor nehmen.
- Jesus im Mittelpunkt: «Und so erkennt ihr den Geist Gottes: Jeder, der bekennt, dass Jesus Christus wirklich als Mensch auf die Erde gekommen ist, hat den Geist Gottes» (1Johannes 4,2 NLB). Der Heilige Geist weist immer auf Jesus Christus, den menschgewordenen Gott hin. Nicht umsonst wird der Geist Gottes auch als Christus in uns (Kolosser 1,27) bezeichnet.
- Gottes Wort als Masstab: Im Unterschied zu den Thessalonichern haben wir einen grossen Vorteil, wir haben die Bibel, Gottes Wort. Jeder Eindruck und jedes prophetisches Reden braucht die Rückendeckung der Heiligen Schrift. Leider ist es in unserem Umfeld mit den Bibelkenntnissen der Nachfolger Jesu nicht zum Besten bestellt.
- Bestätigung in der Gemeinschaft: Paulus gab der ganzen Gemeinde in Thessaloniki den Auftrag, zu prüfen und das Gute zu behalten. Er hat nicht gesagt: Nur wer die Gabe der Geisterunterscheidung hat, soll beurteilen. Der Eindruck, dass wir als seetal chile uns mit Vergebung befassen sollten, wurde von verschiedenen Seiten bestätigt und an uns herangetragen.
- Mutig Schritte wagen: Eine mir bekannte Person hatte einmal spätabends den festen Eindruck, dass sie zum Bahnhof Teufenthal gehen sollte. Ich wurde kontaktiert und wir berieten, was zu tun sei. Wir kamen zum Schluss, dass es gut ist, diesem Impuls zu folgen. Entweder war es ein Eindruck von Gott und sonst ist es ein gutes Übungsfeld, die Stimme Gottes besser herauszuhören.
- Sich Zeit lassen: Während meines Theologiestudiums hatten wir einen Gastdozenten aus China, der mehrmals den Satz sagte: «Der Teufel hat es eilig.» Er belegte den Wahrheitsgehalt dieser Aussage mit eindrücklichen Beispielen. Gott gönnt sich den Luxus von Zeit, er hat sie auch geschaffen. Bei Unsicherheiten, ob etwas gut oder böse ist, sollte man sich mit einer Beurteilung Zeit lassen.
- Dem Wesen Gottes entsprechen: Manchmal ist es sehr hilfreich, aus einer Metaebene heraus die Sache zu betrachten. Entspricht das zu Prüfende dem Charakter und Wesen von Jesus. Wir folgen Ihm nach. Wenn wir in Ihm bleiben und Er in uns, werden wir die Wahrheit erkennen.
Die Jahreslosung 2025 fordert uns heraus, alles zu prüfen und das Gute zu behalten. Um uns für diese Aufgabe fit zu machen, werden wir im nächsten Frühjahr zusammen mit den Pastoren unserer Region einen Anlass durchführen. Dazu haben wir einen Theologiedozenten eingeladen. Das Ziel dabei ist, unsere theologische Mündigkeit zu verbessern, damit wir die vielen Lehrmeinungen, die auf uns einprasseln, besser prüfen können. Gerne würden wir anschliessend weitere solchen Abende anbieten, um anderen Themen vertieft anzuschauen.
Ein neues Jahr liegt vor uns. Gerne würde ich für uns als seetal chile einen Wunsch äussern: Ich wünsche mir, dass wir uns im Sinne der Jahreslosung mutig und vertrauensvoll dem Heiligen Geist öffnen, empfangene Eindrücke und prophetisches Reden als Gemeinschaft anhand von geeigneten Kriterien prüfen und so im Staub unseres Rabbis, ganz dicht Jesus nachfolgen.
Mögliche Fragen für die Kleingruppen
Bibeltext lesen: 1Thessalonicher 5,16-22
- Paulus sagt, dass die Thessalonicher den Geist nicht unterdrücken und das prophetische Reden nicht verachten sollen. Wie und in welchem Rahmen könnte diese Dinge bei uns gefördert werden?
- Wo könntest du persönlich etwas an ein geistgewirktes Leben beitragen?
- Wo holst du dir die Lehre für deine Jesus-Nachfolge her?
- Inwiefern prüfst du das Gehörte? Was sind die Kriterien, die du dabei benutzt?
- Bist du von deinem Wesen her eher offen und tolerant oder kritisch und ablehnend? Wie könntest du dich besser auf den heutigen Bibeltext einjustieren?