Heiligung geschieht im Ankleidezimmer
Serie: Heilig - Heilig - Heilig | Bibeltext: Epheser 4,21-24
Aus dem Staunen über das Mysterium von Gottes Heiligkeit soll unsere persönliche Heiligung erwachsen. Diese geschieht in Partnerschaft zwischen Gott und uns Menschen. Der menschliche Part besteht darin, die alten Kleider der trügerischen Begierden auszuziehen, und die neuen Kleider, die sich durch Gerechtigkeit, Heiligkeit und Wahrheit auszeichnen, anzuziehen. Das Geschehen im Ankleidezimmer ist entscheidend für unsere persönliche Heiligung.
Vor ein paar Monaten teilte ich hier eine meiner spannendsten und herrlichsten Kindheitserinnerung. Als grosse Horde bewaffneter Jungs zogen wir sehr oft in den Wald. An gewissen Abhängen gab es höhlenartige Einbuchtungen. Wir vermuteten, dass dies Fuchsbauten sind. So standen wir einerseits etwas ehrfürchtig und ängstlich, aber auch fasziniert von dem Gedanken, demnächst einem Fuchs zu begegnen, vor der Hölle. Mit Knallkörpern versuchten wir die Füchse aus dem Bau zu locken. Obwohl wir damit keinen Fuchs aufschreckten, probierten wir es immer wieder. Es war gleichzeitig unheimlich, faszinierend, anziehend, furchterregend und abenteuerlich.
Heilige Kirche
In etwa so sieht mein Traum von Kirche aus. Eine Kirche, deren Herz leidenschaftlich für ihren Gott brennt und die sich dessen bewusst ist, dass Er heilig ist. Eine Kirche, die gewahr wird, wem wir in unseren Gebeten und Liedern eigentlich begegnen, und die das Staunen über Seine Schönheit neu entdeckt. Eine Kirche, in der man ehrfürchtig staunt und wo das Geheimnis der Göttlichkeit nicht seziert oder mit menschlichen Attributen versehen wird, um es fassbarer zu machen. Eine Kirche, in der Gott geheimnisvoll bleiben darf und die erfasst hat, dass gerade in seinem geheimnisvollen, heiligen Wesen die besondere Anziehungskraft liegt. Einen gezähmten Gott, den wir lediglich zu einer besseren Ausgabe unserer selbst herabgestuft haben, braucht niemand. Wir brauchen den Gott und Vater von Jesus Christus, der schrecklich schön, liebevoll und gnädig ist und der auf immer ungebändigt bleibt. Wenn Gott für uns kein Mysterium mehr ist, verlieren wir nebst der Ehrfurcht auch die Faszination an Ihm und der Glaube wird langweilig.
Heilige Gnade
Aus dem Staunen über das Mysterium von Gottes Heiligkeit soll unsere persönliche Heiligung erwachsen. «Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig!» (3Mose 19,2 LUT).
Immer wieder erreichen uns über die sozialen Medien unfassbar attraktive Angebote. Viele fallen darauf ein und realisieren erst zu spät, dass sie in eine Falle getappt sind. Der attraktive Gewinn muss im Nachhinein durch monatliche Abbuchungen teuer bezahlt werden. Sind wir im Glauben an Jesus Christus mit dem gleichen Problem konfrontiert? Zuerst das Versprechen, dass ein Mensch aus reiner Gnade erlöst ist und Zugang zum himmlischen Vater bekommt. Nachher die teure Rechnung der Heiligung, in der es darum geht, mühsam das Leben zu verändern, um den Weisungen der Bibel gerecht zu werden?
Letzten August ging es beim Männer Event auf die Gratwanderung Klingenstock – Fronalpstock. Mit der weltweit steilsten Standseilbahn und einem Sessellift ging es ohne jeglichen Kraftaufwand gemütlich bis auf 1934 m hinauf. Das ist Gnade. Und viele denken, dass dies der Anfang ist im Leben mit Jesus Christus. Durch Gnade ist ein Mensch erlöst – ohne Kraftaufwand auf den Gipfel. Bald merkten dann zumindest einige der Männer, dass nun eben doch die eigene Leistung gefragt ist. Über Rot Turm, Huser Stock und Furggelen geht es auf den Fronalpstock. Der Schweiss tropft. Ist es im Glauben auch so, dass nach erhebendem Start nachher die jahrelange, anstrengende und schweisstreibende Heiligung folgt? Nein! C.H. Spurgeon sagt zu diesem Thema: «Gnade ist die Mutter und Amme der Heiligkeit, und nicht der Verteidiger der Sünde.» Gnade ist mehr als «nur» Sündenvergebung. Sie ist das unverdiente Geschenk Gottes, das uns befähigt, überhaupt ein heiliges Leben führen zu können. Unsere Errettung ist ein reines Gnadengeschenk; von ihr aus begeben wir uns auf den Weg der Heiligung, um Jesus ähnlicher zu werden. Dabei dürfen wir mit der verändernden Kraft der Gnade Gottes rechnen.
Aelred von Rievaulx (Zisterzienserabt im 12. Jh.) schrieb über den Prozess der Heiligung: «Unsere Willensentscheidung allein wird keine Veränderung unseres Wesens bewirken. Doch in ihr, mit ihr und durch sie wirkt Gott an uns und gestaltet uns mehr in das Bild Jesu hinein.» Es wird klar: unsere Heiligung kann nur in Partnerschaft zwischen Gott und uns geschehen, aber niemals ausserhalb der Gnade. Doch innerhalb dieser Gnade dürfen, ja, müssen wir persönlich aktiv werden und der Heiligung nachjagen, ohne die niemand Gott sehen wird (Hebräer 12,14). Gnade ist ein Gegensatz zum Verdienst, aber kein Gegensatz zur Anstrengung.
Wie ich in meiner letzten Predigt verkündigt habe, werden wir uns dann verändern wollen, wenn Gottes Liebe in unserem Leben grösser wird als alles andere. Und diese Liebe wird uns im Anschauen von Gottes Herrlichkeit erfassen. Das ist Ausgangspunkt, um konkrete Schritte zu tun. Nicht mehr, weil wir müssen, sondern weil wir – umhüllt in Gottes Gnade – wollen.
Heilige Kleider
Es gibt Häuser, in denen es grosszügig begehbare Kleiderschränke oder separate Ankleidezimmer gibt. Stell dir vor, du stehst im Ankleidezimmer. Auf der einen Seite ist der Wäscheabwurf und vor dir die Regale mit den sauberen Kleidern. Jeden Morgen stehst du nun da, und nimmst verschiedene Kleidungsstücke in die Hand und wägst ab, was der passende Dresscode für den heutigen Tag sein könnte. So nebenbei wirfst du die Kleider mit Gebrauchsspuren, die du gestern getragen hast, in den Wäscheschacht.
Dieses Bild braucht Paulus für die Heiligung: «Oder habt ihr seine Botschaft etwa nicht gehört? Seid ihr etwa nicht in seiner Lehre unterrichtet worden, in der Wahrheit, wie sie in Jesus zu uns gekommen ist? Dann wurdet ihr aber auch gelehrt, nicht mehr so weiterzuleben, wie ihr bis dahin gelebt habt, sondern den alten Menschen abzulegen, der seinen trügerischen Begierden nachgibt und sich damit selbst ins Verderben stürzt. Und ihr wurdet gelehrt, euch in eurem Geist und in eurem Denken erneuern zu lassen und den neuen Menschen anzuziehen, der nach Gottes Bild erschaffen ist und dessen Kennzeichen Gerechtigkeit und Heiligkeit sind, die sich auf die Wahrheit gründen» (Epheser 4,21-24 NGÜ).
Was ist daran Gnade? Die neuen Kleider, welche für den neuen Menschen stehen, der bereits nach Gottes Bild erschaffen ist, liegen bereit. Wir können sie vom Regal nehmen und anziehen. Aus einer gefüllten Garderobe können wir Kleider auswählen, die sich durch Gerechtigkeit, Heiligkeit und Wahrheit auszeichnen. Gleichzeitig werden wir herausgefordert, den alten Menschen, der nach den trügerischen Begierden lebt, auszuziehen und in den Wäscheabwurf zu werfen.
Jemand hat mal erzählt, wie vor vielen Jahren aus dem Garten eines Predigers im Suhrental immer mal wieder Bohnen gestohlen wurden. Mit der Zeit entstand eine erdrückende Beweislast gegen einen Bewohner aus dem Dorf. Nach erneuter Tat kaufte der Geschädigte in der Metzgerei Speck und brachte ihn dem verdutzten Dieb, damit er Speck und Bohnen kochen könne. Der Mann zog die Hose der Vergeltung aus und bekleidete sich mit Grosszügigkeit. Das ist ganz im Sinn von Jesus, dem menschlichen Angesicht der Heiligkeit Gottes. Er empfiehlt: «Wenn jemand dein Hemd schnappt, verpacke deinen besten Mantel und mache ein Geschenk daraus» (Lukas 6,30a MSG -> The Message).
Im Timeout bin ich oft im Ankleidezimmer gestanden und habe die Regale nach heiligem Outfit für die Ehe durchstöbert. Ich bin fündig geworden: Unterwäsche, Socken, Hose und Hemd. Die neuen Kleider sehen den Partner mit anderen Augen. Er wurde von Gott so erschaffen, wie er ist, und das ist gut. Ich will ihn mit Gottes Augen sehen, der sagt: «Es ist sehr gut!» Und als solchen will ich ihn bedingungslos lieben. Der alte Mensch in seinen trügerischen Begierden möchte ihn ändern und reibt sich an gewissen Verhaltensweisen auf. Diese egozentrischen Kleider gehören im Wäschekorb entsorgt.
Jesus sprach oft von alten und neuen Kleidern. Eugene H. Peterson hat dies in seiner Übersetzung der Bibel The Message gut auf den Punkt gebracht. Hier sind drei Kostproben:
«Wenn du nur für die Anerkennung anderer lebst, sagst du, was ihnen schmeichelt, tust, was ihnen schmeichelt, drohen dir Schwierigkeiten. Beliebtheitswettbewerbe sind keine Wahrheitswettbewerbe» (Lukas 6,26 MSG).
«Liebe deine Feinde. Lass sie das Beste aus dir zum Vorschein bringen, nicht das Schlimmste» (Lukas 6,27 MSG).
«Wenn jemand dich auf unfaire Weise ausnutzt, nutze die Gelegenheit, um das Dienerleben zu üben. Keine Vergeltungsmassnahmen mehr. Lebe grosszügig!» (Lukas 6,30b MSG).
Alle Facetten des neuen Menschen, wie wir sie bei Jesus sehen, liegen als Kleider im Ankleideraum bereit. Wir müssen uns umziehen – und wenn wir aus dem Anschauen von Gottes Herrlichkeit kommen, wollen wir uns umziehen! Die schmutzigen, selbstherrlichen, reaktiven, selbstgerechten, egoistischen Kleider in den Wäschekorb, die gnädigen, grosszügigen, liebevollen, heilsamen an den Leib.
Bevor ich mich am Morgen anziehe, überlege ich jeweils kurz, was mein heutiges Programm beinhaltet. Wenn ich beispielsweise einen Gottesdienst im Altersheim zu leiten habe, ziehe ich anstatt der verwaschenen Jeans eine etwas Schönere an. Zudem schlüpfe ich in ein elegantes Hemd, anstatt in das bereits am Vortag getragene Poloshirt.
Wie wäre es, wenn wir uns virtuell jeden Morgen in das geistliche Ankleidezimmer begeben würden, um gut zu überlegen, mit welchen Kleidern wir für die Herausforderungen des Tages gewappnet sind? Wenn ein Gespräch ansteht, bei dem ich damit rechne, kritisiert zu werden, muss ich dringend ein T’Shirt anziehen, das mir hilft, sanftmütig und für eine Gratisberatung bereit zu sein. Bei anstehenden Treffen mit Pastoren muss ich mich schützen, indem mir meine Hose hilft, innerlich nicht in eine Konkurrenzsituation zu geraten. Der Pullover unterstützt mich dabei, in väterlicher Weise die jungen Wilden zu verstehen, zu ermutigen und zu unterstützen.
Jeder von uns hat seine eigenen Herausforderungen und wird die richtigen Kleidungsstücke im Ankleideraum Gottes finden. Ich lade dich ein, bewusst morgens eine gute Zeit in der begehbaren Garderobe zu verbringen und mit Bedacht die Kleider des von Gott geschaffenen neuen Menschen anzuziehen. Das braucht Zeit, Stille und Gespräch mit Gott. Somit ist klar: Alle, die denken, dass die Heiligung ein Krampf ist und mit Leistung zu tun hat, irren. Das Heiligwerden, wie Gott heilig ist, ist ein Vorrecht und ein Geschenk. Und heilige Menschen sind ein Geschenk an und für diese Welt.
Die neuen Kleider als Symbol für den von Gott geschaffenen neuen Menschen liegen in der Ankleide für dich und mich bereit. Nur aus dem Regal ziehen und anziehen müssen wir selbst. Hmmmh ertappt: das richtige Modalverb heisst nicht «müssen», sondern «wollen». Zumindest dann, wenn wir Gottes unfassbare Liebe und seine Herrlichkeit entdeckt haben. Vergessen wir es nie: Gnade ist die Mutter und Amme der Heiligung.
Mögliche Fragen für die Kleingruppe
Bibeltext lesen: Epheser 4,21-24
- Malt gedanklich ein Bild einer Kirche, die die Heiligkeit Gottes ernstnimmt. Wie sieht es aus?
- Was bedeutet Gnade für dich? Was für eine Rolle spielt sie bei der Erlösung und welche in der Heiligung?
- Glaubst du, dass die Kleider als Bild für den neugeschaffenen Menschen für dich bereitliegen?
- Konkret: Wie kannst du am Morgen die richtigen geistlichen Kleider anziehen? Wie geht das?
- Nach einem Moment der Stille: Was für Kleider möchtest du in den Wäschekorb werfen? Welche neuen Kleider möchtest du anziehen? Betet füreinander!