Geh weg von mir!
Serie: Heilig - Heilig - Heilig | Bibeltext: Lukas 5,1-11
Häufig sind wir Menschen zu beschäftigt, um uns mit religiösen Dingen auseinanderzusetzen. Wir gehen auf sichere Distanz und verstecken uns hinter dem, was wir schon kennen und können. Doch Jesus Christus möchte uns begegnen und dies tut er auch. Er stört unsere Geschäftigkeit. Doch die Erkenntnis des Heiligen ruft in uns Abwehr hervor. Denn wir sind alles andere als heilig. Dennoch erkennen wir, dass wir die Begegnung mit dem Heiligen wollen. So sind wir in einer Spannung wie es Petrus ergangen ist. Einerseits sehnsüchtig zu Füssen von Jesus, andererseits in Abwehrhaltung «Geh weg von mir!». Doch Jesus Christus nimmt uns gleichwohl an – genau darin liegt der Ruhm der Gnade: Dass Gott trotz der Unwürdigkeit von uns Menschen ein Ja zu uns hat.
Heute wollen wir uns erneut mit der Begegnung des Heiligen auseinandersetzen. Diese Predigt schwebt mir schon seit mindestens zwei Monaten vor. Einerseits freute ich mich sehr auf sie, andererseits ist es auch für mich eine sehr existentielle Frage, welche darin steckt. Dabei wollen wir uns mit Petrus näher auseinandersetzen. Petrus war der führende Jünger von Jesus Christus. Er erlebte so einiges und war sehr prägend. Seine Geschichte ist voller Höhen und Tiefen. In der Bibel erhalten wir einen tiefen Einblick in sein Inneres und seinen Weg, welchen er an der Seite von Jesus gegangen ist. Dieser Weg führte ihn schlussendlich selbst in den Tod. Doch wir wollen uns heute mit der Berufung von ihm als Nachfolger von Jesus befassen.
Zu beschäftigt, um Jesus Christus nachzufolgen
Petrus wuchs am See Genezareth auf. Er und sein Bruder Andreas waren von Beruf Fischer und bestritten so ihren Alltag. Bevor Jesus öffentlich auftrat, tauchte Johannes der Täufer auf der Bildfläche auf. Er machte die Leute auf das Kommen von Jesus Christus aufmerksam. Dabei gab es ein paar Leute, welche Johannes nachfolgten und seine Nähe suchten. Als Johannes eines Tages im Jordan taufte, kam Jesus vorbei. Zwei Männer, welche bis jetzt mit Johannes unterwegs waren, folgten nun Jesus nach. «Andreas, der Bruder von Simon Petrus, war einer der beiden Männer, die Jesus gefolgt waren, weil sie gehört hatten, was Johannes über ihn sagte. Sofort suchte er seinen Bruder Simon auf und erzählte ihm: ‚Wir haben den Messias gefunden‘ (das bedeutet: den Christus). Dann nahm Andreas Simon mit zu Jesus. Jesus sah ihn aufmerksam an und sagte: ‚Du bist Simon, der Sohn des Johannes – doch du wirst Kephas genannt werden‘ (das bedeutet: Petrus)» (Johannes 1,40-42 NLB). Petrus war also bereits in Berührung gekommen mit dem Heiligen, aber es hatte sein Leben noch nicht verändert. Petrus blieb nach wie vor auf sicherer Distanz.
Und hier beginnt nun die eigentliche Geschichte, um die sich die heutige Predigt dreht. «Als Jesus eines Tages am See Genezareth predigte, drängten sich viele Menschen um ihn, die alle das Wort Gottes hören wollten. Er bemerkte zwei leere Boote am Ufer. Die Fischer hatten sie liegen lassen und reinigten gerade ihre Netze» (Lukas 5,1-2 NLB). Jesus war ein beliebter Prediger. Von überall strömten die Menschen herbei und wollten hören, was er zu sagen hatte. Doch die Fischer waren von dem unbeeindruckt. Sie waren müde von der anstrengenden Nacht und wollten nur noch alles wieder in Ordnung bringen und sich dann ausruhen. Sie bleiben auf Distanz. Doch die Menschenmasse wird immer grösser. «Jesus stieg in eines der Boote und bat den Besitzer des Boots, Simon, vom Ufer abzustossen. Dann lehrte er die Menge vom Boot aus» (Lukas 5,3 NLB). Petrus lässt sich einbinden. Er ist zwar auf Distanz, aber offen für das angesprochen und einbeziehen werden von Jesus Christus. Petrus stösst zwar das Boot vom Ufer ab, ich kann mir aber gut vorstellen, dass er dies nicht unbedingt mit grosser Freude tat. Sicherlich war er müde. Er war die gesamte Nacht unterwegs – und das auch noch vergeblich. Nicht einen einzigen Fisch haben sie gefangen. Womöglich hat er Existenzängste. Doch Jesus weiss schon längst um dies alles.
Jesus predigt von dem Boot zuerst zu allen, doch danach folgt eine spezifisch auf Petrus zugeschnittene Predigt. Jesus, welcher von Beruf Zimmermann war, fordert den Berufsfischer Petrus heraus die Netze nochmals auszuwerfen. Nun waren sie also endlich fertig mit putzen und flicken der Netze und nun kommt einer, der keine Ahnung hat und fordert ihn auf die Netze nochmals auszuwerfen. Wenn sie wieder nichts fangen, was am Tag die logische Schlussfolgerung ist, dann war alles umsonst. «’Meister‘, entgegnete Simon, ‚wir haben die ganze letzte Nacht hart gearbeitet und gar nichts gefangen. Aber wenn du es sagst, werde ich es noch einmal versuchen‘» (Lukas 5,5 NLB). Wohl widerwillig, vielleicht auch neugierig wirft Simon nochmals die Netze aus. Was passiert dann? Die Netze sind so voll, dass sie beginnen zu reissen. Müsst euch diese Situation vor Augen führen. Zuerst sind die Profis bei der Arbeit – fangen aber nichts. Dann kommt ein Laie, welcher wenn überhaupt nur privat ein paar kleine Fische gefangen hat und weisst sie an – und sie machen den Fang ihres Lebens. Der Fang ist so gross, dass sie sogar noch ein anderes Boot hinzuholen müssen. Sie haben so viele Fische gefangen, dass beide Boote beinahe unterzugehen drohen. Petrus bliebt zuerst in sicherer Distanz zu Jesus, dies verschaffte ihm eine vermeintliche Sicherheit. Doch die Begegnung mit Jesus Christus verändert alles.
Erkenntnis führt zur Abwehr
Die Reaktion auf die Nähe zu Jesus Christus lässt nicht lange auf sich warten. «Als Simon Petrus begriff, was da geschehen war, fiel er vor Jesus auf die Knie und sagte: ‚Herr, kümmere dich nicht weiter um mich – ich bin ein zu grosser Sünder, um bei dir zu sein‘» (Lukas 5,8 NLB). Was geschah hier? Je mehr Petrus erkannte, wen er da vor sich hatte, desto unwohler und unwürdiger fühlte er sich in der Gesellschaft einer solchen Person. Er fühlte sich als ein zu grosser Sünder. Sünde meint das getrennt sein von Gott. Ein anderes Wort ist Zielverfehlung. Petrus erkannte in dem Moment, dass sein inneres zu weit weg ist von dem Heiligen, welches sich in Jesus Christus in diesem Augenblick ihm offenbarte. Petrus liegt Jesus zu Füssen und weist ihn aber gleichzeitig auch weg. Die Lutherbibel übersetzt aus dem Griechischen: «[...] Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch» (Lukas 5,8 LUT). Dieses Wegweisen von Petrus zeigt, dass Petrus innerlich erkannt hatte, dass er es mit etwas ganz anderem zu tun hatte. «Denn beim Anblick des überreichen Fangs hatte ihn Ehrfurcht erfasst, und den anderen ging es genauso» (Lukas 5,9 NLB). Petrus bekam Ehrfurcht.
Viele Menschen stehen am gleichen Punkt wie Petrus. Sie erkennen, dass das Reich Gottes anbricht. Sie merken an Menschen in ihrem Umfeld, vielleicht sogar hier in der Kirche, dass sie sich verändern. Vielleicht schauen einige eifersüchtig auf das, was gerade im Leben von einigen Menschen geschieht. Die meisten aber sind wohl froh und erleichtert, dass der Scheinwerfer nicht sie trifft. Denn dies würde Dinge ans Licht bringen. Dinge, welche die gleiche Reaktion wie bei Petrus hervorrufen würden. Nämlich die Erkenntnis, dass ein Mensch in der Gegenwart Gottes nichts verloren hat. Viele sehnen sich nach der Begegnung mit Jesus Christus, allerdings am liebsten nur aus Distanz. Jesus als Vorbild ist heute mehr als salonfähig. Sein Aufruf zur Nächstenliebe, sein Einsatz für die Randständigen, seine Liebe für die Gebeutelten. Allerdings immer nur auf Distanz. Der amerikanische Theologe R.C. Sproul formuliert es folgendermassen. «Die Menschen schätzen moralische Vollkommenheit, solange sie weit genug von ihnen entfernt bleibt» (Robert C. Sproul). Doch die Begegnung mit dem Heiligen geht nicht aus der Distanz. Schon der Prophet Jesaja, welcher ein paar hundert Jahre vor Petrus lebte, schreibt über seine Gottesbegegnung folgendes: «Da sagte ich: ‚Mir wird es furchtbar ergehen, denn ich bin ein Mann mit unreinen Lippen, inmitten eines Volkes mit unreinen Lippen. Ich werde umkommen, denn ich habe den König, den HERRN, den Allmächtigen, gesehen!‘» (Jesaja 6,5 NLB).
Was Petrus im Moment des Fischwunders erkennt, ist sein Unvermögen im Vergleich mit der Macht Gottes. Alles, was Petrus als Mensch Gott bringen kann, fällt weg. Er bringt die Erfahrung als erfahrener Fischer und liebevoller Schwiegersohn mit. Auf diesen beiden Gebieten kann er etwas. Doch als seine Schwiegermutter krank ist, heilt Jesus Christus sie (Lukas 4,38-39). Nachdem sie eine ganze Nacht nichts gefangen hatten, verhilft Jesus ihnen zum grössten Fang – und dies am Tag. Bis jetzt war Petrus angetan vom Mensch Jesus. Doch dieses Fischwunder verändert alles. Petrus erkennt, dass Jesus Christus Macht hat über alles – auch über seine beiden Fachgebiete. Petrus hat absolut nichts zu bieten. Stattdessen erkennt er sich als den Menschen, welcher man am liebsten verstecken möchte. Nämlich als einem Sünder, einem Menschen, welcher von Gott getrennt ist. Petrus kann nicht anders als vor Jesus zu kapitulieren. Dieser Punkt ist entscheidend, insbesondere in Zeiten von Social Media, wo alles immer auf Hochglanz getrimmt ist. Es geht um unsere dunkle Seite, welche wir meistens sehr gut unter Verschluss halten können und wenn überhaupt nur die Menschen kennen, welche uns am nächsten sind. Oftmals bekommen sie diese am meisten ab.
Der Ruhm der Gnade
Petrus sagt zwar «Geh weg von mir!» aber seine Handlung zeigt, dass sein Herz etwas anderes fühlte. Petrus legte sich zu den Füssen von Jesus Christus und spricht diesen Satz. Es zeigt die Spannung der Erkenntnis des eigenen Unvermögens und des Verlangens des Herzens von Petrus. Wie reagiert Jesus? Sagt er «Ja du bist es nicht wert! Geh weg von mir!» oder sagt er «Was willst du von mir Petrus? Hau ab!» All diese Reaktionen wären absolut gerechtfertigt gewesen, aber Jesus Christus reagiert ganz anders. Die Antwort von ihm ist keine Wegweisung, sondern eine Verheissung. «[…] Jesus sagte zu Simon: ‚Hab keine Angst! Von jetzt an wirst du Menschen fischen!‘» (Lukas 5,10 NLB). In dieser Reaktion liegt sehr viel. Darin liegt die schmerzhafte aber zugleich heilsame Wahrheit. Gott braucht uns Menschen nicht – will uns aber. Wir Menschen brauchen Gott – wollen aber nicht. In seiner Heiligkeit braucht Gott uns nicht, er will uns aber. Diese Spannung des nicht verdient und dennoch gewollt und würdig zeigt sich in einer Zusage an das Volk Israel ganz bildlich. «Du armer Wurm Jakob, du trauriger Haufen Israel, fürchte dich nicht, ich helfe dir, darauf hast du mein Wort. Dein Erlöser ist der Heilige Israels» (Jesaja 41,14 NLB). Genau so stehen wir Menschen vor Gott. Wir sind arme Würmer, ein trauriger Haufen, wir hätten allen Grund uns zu fürchten. Doch der Heilige sagt «Fürchte dich nicht!». Wir sind erlöst von diesem Zustand der Zielverfehlung.
Der Ruf von Jesus Christus verlangt uns alles ab. Aber nur, weil auch er für uns alles gegeben hat. Er hat Pläne für uns, von denen wir niemals zu träumen gewagt hätten. Die Antwort von Petrus und den anderen Fischern zeigte sich darin, dass sie alles zurückliessen, was sie hatten und Jesus Christus nachfolgten (Lukas 5,11). Wir hätten nichts von ihnen gehört, wenn sie bei ihren Booten geblieben wären. Von der Entscheidung für den Heiligen hängt viel ab! Die Fischer verliessen ihren angestammten Beruf in dem Moment, als es am besten lief.
Schnell können wir bei dieser Geschichte den Fokus auf die Entsagung der Jünger legen. Darauf, dass sie alles hinter sich liessen, um Jesus Christus nachzufolgen. Doch dies ist nicht der Hauptfokus dieser Geschichte. Es geht nicht darum bedingungslosen Gehorsam vor Augen zu führen, sondern der Schwerpunkt liegt auf dem Ruhm der Gnade wie es der Theologe Adolf Schlatter gesagt hatte. Die Gnade kann sich nur dann in ganzer Fülle zeigen, wenn ich auch an dem Punkt angelangt bin, an dem ich erkenne, dass ich vor dem Heiligen nicht bestehen kann und das Heilige gleichwohl absolut nötig habe. Genau darin liegt dann auch der Ruhm der Gnade: Dass Gott trotz der Unwürdigkeit von uns Menschen ein Ja zu uns hat.
Mögliche Fragen für die Kleingruppe
Bibeltext lesen: Lukas 5,1-11
- Wie beschäftigt bist du? Wo in der Geschichte würdest du dich verorten? Eher am Rande wie Petrus und mit der Arbeit beschäftigt oder eine der Personen, welche Jesus Christus zuhören und zu ihm strömen?
- Welchen Bereich in deinem Leben möchtest du am liebsten verstecken? Worüber bist du besonders stolz? Wie nahe lässt du Jesus Christus an dich ran?
- Kannst du fassen, wie sehr du es nicht verdient hättest Jesus Christus zu begegnen? Kannst du es aber auch erfassen, wie sehr er dich will?
- Kennst du die Spannung von «Geh weg von mir!» und sich zu den Füssen von Jesus Christus hinlegen?
- Woran erkennst du den Ruhm der Gnade in deinem Leben?