Gastfreundschaft im Hause Gottes

Datum: 13. Januar 2019 | Prediger/in:
Serie: | Bibeltext: Lukas 15,11-24
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Diese Predigt verbindet das Jahresthema «Willkommen daheim» mit einer aktuellen Herausforderung im Gemeindeleben, die uns beschäftigt. Und zwar stellen wir uns der Frage, wie wir inspiriert durch die Gastfreundschaft in Gottes Haus, eine umfassende Willkommenskultur für die seetal chile ableiten können. Bei diesem Unterfangen stossen wir im Gleichnis vom Vater mit den zwei verlorenen Söhnen auf starke Impulse. 


Immer im Januar führen wir einen sogenannten Visions-Gottesdienst durch. Diese Gottesdienste sollen den Blick nach vorne öffnen. Wir reden darüber, welche geistliche Bedeutung das Jahresthema für unser konkretes Gemeindeleben haben könnte. Konkret wollen wir heute die Gastfreundschaft im Hause Gottes betrachten und daraus Schlüsse für uns ziehen. Jesus malt uns diese im Gleichnis vom Vater mit den zwei Söhnen sehr eindrücklich vor Augen.

Willkommenskultur in Gottes Haus

Jesus fuhr fort: «Ein Mann hatte zwei Söhne. Der jüngere Sohn sagte zu seinem Vater: ‘Ich möchte mein Erbteil von deinem Besitz schon jetzt haben.’» (Lukas 15,11+12). Er hätte genauso gut sagen können: «Ich wünschte, Du wärst tot.» Denn das Erbe bekommt man normalerweise erst nach dem Tod des Vaters. Dieser Sohn konnte nicht warten. Mit dem Geld in der Tasche wandte sich der jüngere Sohn komplett von seinem bisherigen Leben ab. Jesus zeichnet uns hier ein Bild vom schlimmstmöglichen Verhalten, das in der damaligen Kultur möglich war. Der Sohn hatte seinen Vater respektlos behandelt. Seine Taten waren keine Bagatellen. Er war Ehebrecher und hat das Geld für Prostituierte ausgegeben. Als kein Geld mehr da war, ist er sogar so tief gesunken, einen Job als Schweinehirt anzunehmen. Schweine waren für Juden der Inbegriff von Unreinheit.

Jesus konnte nicht mehr hinzufügen, durch das der Sohn noch schlechter dastehen würde. Dem jüngeren Sohn ist völlig klar, dass er es verbockt hat. Deswegen will er zurück zu seinem Vater. Er rechnet nicht damit, als Sohn willkommen geheissen zu werden. Er hat nur auf einen Job als Tagelöhner gehofft. «So kehrte er zu seinem Vater nach Hause zurück. Er war noch weit entfernt, als sein Vater ihn kommen sah. Voller Liebe und Mitleid lief er seinem Sohn entgegen, schloss ihn in die Arme und küsste ihn» (20). Der Vater lief ihm entgegen. So etwas tat man damals als reicher Mann nicht. Aber die Liebe war stärker als soziale Normen.

«Sein Sohn sagte zu ihm: ‘Vater, ich habe gesündigt, gegen den Himmel und auch gegen dich, und bin es nicht mehr wert, dein Sohn zu heissen.’» (21). Ein auswendig gelernter Spruch (17ff). An diesem Gedanken ist etwas Wahres dran. Es stimmt, dass seine Taten eines Sohnes unwürdig waren. Aber schauen wir auf die Reaktion des Vaters: Es scheint, als ob er die einstudierte Entschuldigung gar nicht hört. Der Vater wusste, was im Herzen seines Sohns vor sich ging. Er spürte, dass es ihm leidtat. Nichts anderes zählte.

«Aber sein Vater sagte zu den Dienern: ‘Schnell! Bringt die besten Kleider im Haus und zieht sie ihm an. Holt einen Ring für seinen Finger und Sandalen für seine Füsse. Und schlachtet das Kalb, das wir im Stall gemästet haben.» (22+23). Das Kalb ist nebenbei bemerkt die einzige Figur, für die diese Geschichte schlecht ausgeht! «Denn mein Sohn hier war tot und ist ins Leben zurückgekehrt. Er war verloren, aber nun ist er wiedergefunden. Und ein Freudenfest begann» (24).

Die drei Geschenke sind von grosser Bedeutung:

Ein Gewand – Beziehung wiederhergestellt

Das war kein dreckiges, gebrauchtes Gewand, sondern das beste Gewand im ganzen Haus. Vielleicht hat es sogar dem Vater selbst gehört. Es symbolisiert, dass der Sohn wieder die Stellung und alle Rechte eines Sohns erhalten hat. Der Vater hat nie aufgehört, ihn zu lieben. Aber nun war er auch komplett wiederhergestellt. Das Gewand symbolisiert zudem die Bedeckung der Scham des Sohnes.

Einen Ring – Vollmacht wiederhergestellt

Das dürfte eine Art Siegelring gewesen sein, wie man ihn auf offiziellen Dokumenten verwendet. Jeder wusste, dass es ein Zeichen seines Vaters war. Ohne dieses Siegel hatten Anweisungen auf einem Dokument keine bindende Autorität. Der Ring ist also ein Symbol der Macht und Autorität, im Namen des Vaters Geschäfte auszuführen. Dieser Junge, der den Reichtum seines Vaters verprasst hatte, wurde sozusagen wieder in Dienst gestellt und durfte wieder im Namen des Vaters Geschäfte durchführen. Er hatte Zugang zu allen Informationen. Was für ein Vertrauensbeweis. Er durfte wieder Befehle erteilen und alle mussten ihm wegen des Rings an seinem Finger gehorchen.

Sandalen – Stellung in der Familie wiederhergestellt

Drittens hat er die Diener gebeten, ihm Sandalen zu bringen. In einem jüdischen Haushalt durften nur der Vater und die Söhne Sandalen tragen. Der Vater hat also unmissverständlich klar gemacht, dass dieser Junge – ungeachtet seiner Taten – noch immer sein Sohn ist. Mit allen Rechten, die dazugehören.

Willkommenskultur in der seetal chile

Dieses Beispiel von Gastfreundschaft im Hause Gottes soll uns als seetal chile inspirieren. Die lokale Gemeinde soll das Haus Gottes auf dieser Erde repräsentieren. Gastfreundschaft ist eine göttliche Eigenschaft, die wir leben sollen. Auffällig ist, dass sie als Kriterium für Älteste genannt wird. «Ein Ältester muss ein Mensch sein, der ein einwandfreies Leben führt. Er soll seiner Frau treu sein. Er soll Selbstbeherrschung haben, besonnen leben und einen guten Ruf besitzen. Er soll gastfreundlich sein und fähig, andere zu lehren» (1Timotheus 3,2; vgl. Titus 1,8). Die Leute von der Gemeindeleitung sollen auch in dieser Sache vorausgehen und ein Beispiel setzen. Gastgeber zu sein, ist aber nicht nur Leitungsaufgabe, wie wir gleich sehen werden.

Folgende vier Schritte sind Etappen in unserer Willkommenskultur:

1. Erstkontakt

Wie der Vater im Gleichnis wollen wir proaktiv, aber taktvoll auf neue Leute zugehen. (Das mit dem Kuss lassen wir wohl eher bleiben.) Proaktiv wollen wir auch sein, indem wir Leute einladen. Dazu können auch die Visitenkarten dienen, die zum Jahresthema gedruckt und beim Ausgang aufliegen. Wen könntest du in diesem Jahr in das Haus Gottes, welche die Gemeinde ist, einladen?

Der Sohn kam mit leeren Händen und havariertem Ruf zurück. Der Vater nahm ihn bedingungslos an und liess ihn seine wohltuende Gnade erfahren. Da gab es keinen Druck, keine Erwartungen, nur Annahme und Vergebung. Leider sind wir Christen nicht unbedingt für diese Eigenschaften bekannt, sondern vielmehr für kritisches Beäugen und Be- oder gar Verurteilen. Eine alleinerziehende Frau gab ihren Körper gegen Bezahlung Männern hin, um ihr Kind über die Runde zu bringen. Um weniger dem Schmerz ausgesetzt zu sein, nahm sie bewusstseinsverändernde Drogen. Auf den Hinweis, sie solle sich doch an die Kirche wenden und dort Hilfe in Anspruch nehmen, meinte sie: «Ich fühle mich jetzt schon mies. Ich will mich nicht noch schlechter fühlen.» Ich träume von einer Kirche, in der Menschen direkt der wohltuenden und einladenden Gnade Gottes, repräsentiert durch Menschen, in die Arme laufen. Wäre es nicht schön, wenn wir für ausserordentliche Empathie bekannt wären!

Auf unserer Website finden sich die Worte «belong, believe, behave» (dazugehören, glauben, sich verhalten). Menschen sollen sofort dazugehören. Durch die Erfahrung der bedingungslosen Annahme werden sie offen für den Glauben an Jesus Christus. Und erst dann – durch die Kraft des Heiligen Geistes – werden sie in ihrem Verhalten verändert. Gott kommt mit jedem Menschen zum Ziel – auch mit mir.

Wie der Vater mit dem Gewand die Scham des Sohnes bedeckt hat, ist es uns ein grosses Anliegen, dass Leute bei uns niemals blossgestellt werden. Deshalb gibt es keine offenen Gebetsrunden und kein erzwungenes Einander-Hallo-Sagen.

2. Kontakte schaffen

In einem zweiten Schritt sollen neue Menschen sich vernetzen können. Der Vater im Gleichnis liess gleich ein Kalb schlachten und schmiss ein Fest. Ein Fest ist eine hervorragende Möglichkeit, um in angenehmen Rahmen Beziehungen zu knüpfen. Kürzlich hörte ich, wie ein Pastor gesagt hat, dass die Teilnahme an einer Gemeindefreizeit in Sachen Kontakte schaffen drei Jahre ‘normales’ Gemeindeleben ersetze. Wir sind bemüht, immer wieder solche Räume aufzutun, wo Menschen leicht Beziehungen knüpfen können. Dies kann am Dankesfest, auf der Israelreise, in den Chrischona Ferien oder jeden Sonntag im Bistro sein. Um dort den Anschluss etwas zu erleichtern, wollen wir eine Ecke schaffen, wo Leute hinkommen können.

Symbolisiert durch die Sandalen wurde beim Sohn seine Stellung in der Familie wiederhergestellt. Er war wieder ganz Teil der Familie und hatte somit auch Zugang zu allen Informationen. Wir wurden darauf hingewiesen, dass es bei uns noch zu schwierig ist, an die Informationen heranzukommen. Das wollen wir verbessern.

3. Teil werden

Durch den Ring, der dem Sohn an den Finger gesteckt wurde, wurde seine Vollmacht wiederhergestellt. Er durfte im Namen des Vaters Geschäfte durchführen und Befehle erteilen. Dadurch hatte er Macht, etwas zu bewegen. Menschen werden dann Teil in einer christlichen Gemeinde, wenn sie ihre Berufung leben und ihre Leidenschaft einsetzen dürfen. Wir wollen Menschen helfen, dass sie in der seetal chile etwas bewegen können. Dann geschieht nämlich etwas ganz Schönes: Sie reden nicht mehr von «ihr», sondern von «wir». Sie verlassen den Beobachterstatus und werden Teil der Gemeinschaft. Es geschieht eine Identifikation. Und wer sich identifiziert, kritisiert aufbauend und setzt sich selbst für Verbesserungen ein. Gemeinsam investieren wir uns für eine Sache, die grösser ist als wir selbst. In dieser Phase beginnt der Prozess, in dem aus einem Gast ein Gastgeber wird, der Menschen einen Empfang bereitet und sie herzlich willkommen heisst.

Ebenfalls verändert sich hier die Rolle des Gottesdienstes. Bis anhin war er unverzichtbare Aufladestation. Doch nun beschleicht einem allmählich das Gefühl, es langsam aber sicher gesehen zu haben. Das ist ein gutes Zeichen, denn nun gilt es, sich auf die nächste Phase einzustimmen. Es muss nun der Wandel vom Konsumenten zum Gastgeber erfolgen.

4. Vater werden

Henry Nouwen schreibt in seinem hervorragenden Buch «Nimm sein Bild in dein Herz», dass das Ziel eines Sohnes immer sein sollte, selbst zu einem Vater zu werden, der für andere Menschen die Gnade Gottes erfahrbar macht. Ein Vater stellt seine eigenen Bedürfnisse und Vorlieben zugunsten von ‘Heimkömmlingen’ in einer wunderbaren Selbstlosigkeit in den Hintergrund. Ihm ist die Hausatmosphäre wichtiger als die eigenen Bedürfnisse, weil er die Quelle wahren Lebens gefunden hat. Er ruht in sich selbst, weil er beim himmlischen Vater ganz heimisch geworden ist. Bist du schon ein Vater, der nach heimatlosen Menschen Ausschau hält? Wir brauchen in der seetal chile dringend geistliche Mütter und Väter, um mit dem von Gott geschenkten Wachstum gut umgehen zu können. Lediglich zu konstatieren, dass neue Menschen kommen und andere gehen, ist einen Vaters unwürdig. Um Vater bzw. Mutter zu sein, braucht es geistliche Reife. Wir wollen uns im Laufe des Jahres herausfordern lassen, Wachstumsschritte zu tun.

Der 95-järigen Pablo Casals, der als der grösste Cellist gilt, den die Welt je gesehen hat, hatte eine vorbildliche Einstellung. Ein junger Reporter fragte ihn eines Tages: «Sie sind 95. Sie gelten als der beste Cellist der Welt und trotzdem üben Sie noch sechs Stunden am Tag. Warum?» Worauf der antwortete: «Weil ich denke, dass ich Fortschritte mache.» Wir sind noch nicht am Ziel angekommen und sollten jeden Tag Fortschritte machen. So werden wir reif in Christus.

 

Willkommen daheim! Als ganze Gemeinde wollen wir in dieser Thematik in diesem Jahr einen grossen Schritt nach vorne machen – und das nicht nur bei den Erwachsenen, sondern auch bei den Kindern. Deshalb ist innerhalb der visionären Leitung ein Projekt angelaufen, bei dem diese vier Punkte intensiv behandelt werden. Die Idee ist, dass wir zu gegebener Zeit ein Gemeindeforum zur Thematik durchführen.

Weil Jesus Christus seine Heimat verlassen hat und als Fremder auf die Erde kam, können wir beim himmlischen Vater ein Zuhause finden. Wir dürfen mit leeren Händen kommen, werden herzlich empfangen und dürfen je länger je heimischer werden. Das ist Gnade! Diese Gnade soll uns selbst und neuen Menschen in der seetal chile zur persönlichen Erfahrung werden.

 

 

Mögliche Fragen für die Kleingruppen

Bibeltext lesen: Lukas 15,11-24

  1. Wie beurteilst du die Willkommenskultur der seetal chile und wo siehst du Verbesserungspotenzial?
  2. In welcher der vier genannten Phase erlebst du dich? Was würde es brauchen, um die nächste zu erreichen?
  3. Konntest du schon tiefe Beziehungen entwickeln? Welche Gefässe waren hilfreich dabei?
  4. Verstehst du dich als Gast oder Gastgeber in der seetal chile? Was für Auswirkungen hat das eine oder das andere?
  5. Kennst du das Gefühl, dass die Gottesdienste inhaltlich nicht mehr die gleiche Relevanz für dein geistliches Leben haben? Was könnte das für deine Herzenshaltung bedeuten?
  6. Wie könnte man anhand der Bilder des Gleichnisses die Gnade Gottes beschreiben?