Datum: 18. Juli 2021 | Prediger/in:
Serie: | Bibeltext: Jesaja 45,15

Jesaja sagt: «Ja, Herr, du bist ein Gott, der sich verborgen hält, du Gott und Retter Israels.» Wir alle machen Erfahrungen mit der Verborgenheit Gottes, oft gerade dann, wenn wir Ihn am meisten brauchen. Was ist wichtig, um in solcher Zeit zu bestehen und unserem Glauben Schub zu verleihen? Auch in dieser Hinsicht kann Jesus uns zum Vorbild werden.


Letzten Sonntag wurde in der Predigt eine Frau aus Humlikon zitiert, die in dem Dokumentarfilm zum Flugzeugabsturz 1963 folgendes sagte: «Vor dem Abflug war das ganze Dorf in Aufregung. Die ganze Woche und auch am Abend vor dem Abflug hatten sie alle für einen guten Flug gebetet und dann – dieser grausame Absturz.» Und weiter: «Seit diesem Moment habe ich kein einziges Mal mehr gebetet.» Warum verbirgt sich Gott, wenn wir ihn am dringendsten brauchen? Diese Frage stellte sich auch C.S. Lewis, nachdem seine Frau nach kurzer Ehe an Knochenkrebs gestorben war: «Und wo bleibt Gott? Das ist eines der beunruhigendsten Symptome. Wenn man glücklich ist, so glücklich, dass man das Gefühl verliert, seiner zu bedürfen, wird man mit offenen Armen empfangen. So wenigstens empfindet man es. Aber gehe ich zu ihm in verzweifelter Not, wenn jede andere Hilfe versagt, was findest du? Eine Tür, die man dir vor der Nase zuschlägt, und von innen das Geräusch doppelten Riegelns. Danach Stille. Du kannst ebenso gut wieder gehen. Je länger du wartest, desto nachdrücklicher wird die Stille.» Das sagt ein Mann, der in Jesus Christus seinen Gott gefunden hat und zu einem der bekanntesten Apologeten des 20. Jh. geworden ist. Vielleicht gehörst du zu den Menschen, die mit Bertrand Russel sagen: «Ich glaube nicht an Gott. Er hat mir keine Beweise geliefert.»

Hinter den Kulissen

In Jesaja 45,15 (HFA) steht: «Ja, Herr, du bist ein Gott, der sich verborgen hält, du Gott und Retter Israels.» Die Aussage, dass Gott ein verborgener Gott ist, läuft mir zutiefst gegen den Strich. Ich möchte Gott erfahren, greifen und sehen! Gott ist auch erfahrbar. Und trotzdem sagt ER von sich, dass er ein Gott ist, der sich verborgen hält.

Hiob wurde von Schicksalsschlägen richtig überrollt: Er verlor seine zehn Kinder, seine Gesundheit und seinen gesamten Besitz. Inmitten seines Leides, in der Asche sitzend und sich mit einer Scherbe kratzend, versucht er Gott zu verstehen. Doch Gott schweigt. Wir alle empfinden oft gerade im Leid etwas von der Abwesenheit Gottes. Warum reagiert Gott nicht, wenn wir zu Ihm beten?

Hiob hat den Eindruck, dass Gott weit entfernt ist oder ihm gar als Feind begegnet. «O Gott, sag mir: Wo bin ich schuldig geworden? Welche Sünden habe ich begangen? Wo habe ich dir die Treue gebrochen? Warum ziehst du dich von mir zurück und betrachtest mich als deinen Feind?» (Hiob 13,23f HFA). «Wenn ich doch wüsste, wo ich ihn finden könnte und wie ich zu seinem Thron gelange! Ich würde ihm meinen Fall darlegen und alle Gründe nennen, die zu meinen Gunsten sprechen! Ich wollte wissen, was er mir zur Antwort gibt, und verstehen, was er mir dann sagt» (Hiob 23,3-5 HFA). Hiob macht seiner Enttäuschung Luft. Es schmerzt ihn, dass er ähnlich wie ein Vogel, immer wieder gegen ein Fenster fliegt und sich dabei verletzt.

Worüber Hiob keine Kenntnis hatte, wir aber schon, sind die ersten zwei Kapitel im Hiobbuch. Dort erscheint Satan im Himmel vor Gott: «Hiob ist dein Liebling. Du hast ihn reich gesegnet mit allem, was man sich vorstellen kann: Familie, Gesundheit und viel Besitz. Nimm ihm diese Dinge und du wirst sehen, dass er sich von dir lossagt.» Satan bekommt einen gewissen Spielraum zugestanden, doch das Leben von Hiob darf er nicht antasten. Hätte Hiob gewusst, dass es eigentlich um eine Auseinandersetzung zwischen Gott und dem Chefankläger Satan geht, wäre es leichter für ihn gewesen. Hinter dem Vorhang war Gott die ganze Zeit da!

Dieser Denkrahmen ist für uns ein wichtiger Notnagel. Gerade wenn es durch unerklärliche Tiefen, müssen wir uns Hiob 1+2 vor Augen führen. Gott hält sich auch in unserem Leben manchmal im Verborgenen, um der Qualität unseres Glaubens Schub zu verleihen, dass wir diesem Gott vertrauen und ihm glauben, auch wenn es uns nicht gut geht. Die Freunde Hiobs schlussfolgerten: «Gott straft dich. Wem dies passiert, muss ein grosser Sünder sein.» Wir lernen: Gerade wenn es um das Leiden an der Verborgenheit Gottes geht, stimmen unsere Schlussfolgerungen oft nicht. Gott ist und bleibt da, ganz nahe, nur nicht sicht- und erfahrbar für uns. «Ja, Herr, du bist ein Gott, der sich verborgen hält, du Gott und Retter Israels.» Der verborgene Gott ist gleichzeitig der Retter. Gott rettet durch, gerade auch dann, wenn wir an seiner Verborgenheit leiden.

Wir müssen durch den Horizont schauen lernen. David tat dies: «Viele sagen von mir: Er hat keine Hilfe bei Gott. Aber du, HERR, bist der Schild für mich, du bist meine Ehre und hebst mein Haupt empor» (Psalm 3,3-4 LUT). Auch Jesus war mit diesem Denkrahmen unterwegs: «Er war bereit, den Tod der Schande am Kreuz zu sterben, weil er wusste, welche Freude ihn danach erwartete. Nun sitzt er an der rechten Seite von Gottes Thron im Himmel!» (Hebräer 12,2 NLB). Dietrich Bonhoeffer sagte kurz vor seine Hinrichtung: «Das ist das Ende. Für mich ist es der Beginn des Lebens.» Bonhoeffer hat daran gelitten, dass Gott nicht eingegriffen hat, gleichzeitig wusste er, dass es der Beginn des Lebens ist.

Gottes neue Wege

Im Jahr 597 v.Chr. stand Nebukadnezar vor Jerusalem. Der 18-jährige König Jojakim überlässt ihm die Stadt kampflos. Der Tempel wird beraubt und die Gefässe nach Babylon transportiert. Eineinhalb Jahre später wird Jerusalem zerstört und das Volk deportiert. Es ist das Ende des Staates Israel. Bei den Israeliten hatte sich ein Gedanke verankert, der ihnen durch die Propheten mehrmals gesagt wurde: «Ich bin euer Gott! Wer ist noch ein so starker Gott?» Dennoch baut nun Nebukadnezar sein Weltreich auf. In diese Situation hinein gibt es Propheten, die sagen: «Der Spuk ist bald vorüber. Ein bisschen Geduld, ein bisschen Glaube. Unser starker Gott wird das schon wieder in den Griff kriegen. In unserem Volk gab es immer wieder ein Auf und Ab» (vgl. Jeremia 27,14-16). Jeremia hingegen spricht von 70 Jahre Gefangenschaft in Babylon und dass sie der Stadt Bestes suchen sollen (Jeremia 29,7).

Das Ärgernis dieser Botschaft lag darin, dass Gott seine Macht nicht erweist. Ein starker Gott wählt einen Weg, der dem Volk Gottes bis anhin unbekannt war: den Weg der Schwachheit. Warum sollte Gott auf eine solch wahnsinnige Idee kommen, seine Macht zurückzuziehen und verborgen zu halten? Es war der Anfang einer Geschichte, die seinen Höhepunkt am Kreuz von Golgatha hat. Dort zieht Gott seine Macht völlig zurück. Er war so schwach und so klein, dass er stirbt. Die Propheten damals hatten eine klare Theologie der Macht und der Wunder Gottes. Doch Jeremia sagt: «Nein, Gott geht neue Wege.»

Gott wählt oft einen Weg der Schwachheit und mutet das auch uns zu. Zum leidenden Paulus sagte er: «Meine Gnade ist alles, was du brauchst. Meine Kraft zeigt sich in deiner Schwäche» (2Korinther 12,9 NLB). Auch im Leben eines Nachfolgers von Jesus geht es oft um Verlust, Verzicht und Sterben, weil es zutiefst zu Gottes Wesen gehört. Gleichzeitig muss er wissen, dass Gott ein Gott ist, bei dem kein Gebet zur Erde fällt, sondern in Schalen vor Gott gebracht wird. Aber Gott antwortet nicht auf jedes Gebet, so wie wir es erwarten.

Über Paulus und sein Team heisst es: «Sie stärkten und ermutigten die Gläubigen, am Glauben festzuhalten, und erklärten ihnen noch einmal, dass wir alle durch viele Bedrängnisse in das Reich Gottes kommen müssen» (Apg 14,22 NLB). Entsprechend Gottes Plan, muss ein Mensch viele Bedrängnisse durchmachen, bevor er in sein Reich kommt. Es ist sehr hilfreich, sich gerade in schwierigen Zeiten an dieser Wahrheit zu orientieren. Fragst du dich, ob du dich auf die Seite Gottes stellen willst? Natürlich ja, aber bitte nicht, weil du den Eindruck hast, dass es Christen in dieser Welt besser geht, wenn es um Karriere oder Geld oder Familie oder manches andere geht. Was gibt es Schöneres für einen Menschen, als in Gott seinen Retter, sein Ziel, sein Gegenüber zu finden. Aber bitte nicht mit der Erwartung, dass Gott dann dein Leben auf Rosen bettet. Christen müssen lernen für diesen Gott, der manchmal abwesend scheint, zu leben und ihm zu vertrauen.

Gottes Rettungsplan

Auch Jesus lebte in der Spannung zwischen der Verborgenheit und Gegenwart Gottes. Auf dem Weg nach Golgatha schlägt Petrus einem römischen Soldaten namens Malchus mit dem Schwert ein Ohr ab. Sofort gebietet Jesus Petrus, dass er das Schwer in die Scheide stecken soll, und stellt dann zwei Fragen: «Soll ich etwa nicht aus dem Kelch trinken, den mir der Vater gegeben hat?» (Johannes 18,11 NLB). Und: «Wisst ihr denn nicht, dass ich meinen Vater um Tausende von Engeln bitten könnte, um uns zu beschützen, und er würde sie sofort schicken?» (Matthäus 26,53 NLB). Jesus wusste, dass sein Vater da ist und ein Heer Engel nur auf den Befehl wartet. Er lässt die Verborgenheit Gottes also freiwillig zu. Anschliessend heilt Jesus das Ohr, um sich dann gefangen lassen zu nehmen. Jesus verzichtet auf ein machtvolles Eingreifen. Wenige Stunden später hängt unser Heiland am Kreuz und der Verbrecher zu seiner Seite sagt: «Du bist also der Christus? Beweise es, indem du dich rettest und uns mit!» (Lukas 23,39 NLB). Wir wollen etwas sehen, dann glauben wir. Gott hat sich für eine andere Qualität des Glaubens entschieden, die lautet: Nicht sehen und doch glauben. Die Masse schrie: «[...] Nun, wenn du der Sohn Gottes bist, dann rette dich doch selbst und steig vom Kreuz herab!» (Matthäus 27,40 NLB). Damit sagten sie: Wenn er herabsteigt, glauben wir, dass es Gottes Sohn ist.

Einige Zeit später hallt der Schrei: «Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?» (Matthäus 27,46 NLB) über Golgatha. Das ist paradox: Gott wird in Jesus Mensch und Teil dieser Welt. Menschen konnten ihn sehen, tasten und hören. Gott durchbricht in Jesus die Verborgenheit. Auf der anderen Seite ist Jesus so sehr von Gott verlassen, dass Er es hinausschreit. Die Verlassenheit Jesu hat damit zu tun, dass er all unsere Schuld und Sünde (= Nichtvertrauen auf Gott) trug. Die Verborgenheit Gottes hat einen Zusammenhang mit der Sünde und ist ein Zugeständnis an diese Erdenzeit. Unsere Schuld und Sünde schaffen eine Trennung zwischen Gott und uns. Wenn wir im Vertrauen auf Gott durch diese Zeit gehen, werden wir in der Ewigkeit von der Gegenwart Gottes überwältigt werden!

Unsere Rettung in der Verborgenheit Gottes kommt in Jesus Christus, der von seinem Gott und Vater getrennt war. Die Antwort auf die Warum-Frage «Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?» lautet: «Für uns alle!» Damit du und ich nie mehr diese tiefste Verborgenheit Gottes durchleiden müssen! Jesus war verlassen, damit wir nie mehr allein sein müssen, damit wir Gottes Gegenwart erleben dürfen. Das ist das Evangelium.

Die Zukunft derer, die trotz der Verborgenheit Gottes an Ihm festhalten, sieht anders aus. Sie werden einmal vom Glauben ins Schauen kommen und auf einen Schlag wissen: Es hat sich hundertfach gelohnt!

 

 

Mögliche Fragen für die Kleingruppen

Bibeltext lesen: Hiob 1+2

  1. Wann in deinem Leben hast du die Verborgenheit Gottes am schmerzhaftesten wahrgenommen?
  2. Was würdest du zu der Frau von Humlikon sagen?
  3. Inwiefern kann die Geschichte von Hiob uns einen Denkrahmen für solche Zeiten geben?
  4. Warum wurde Jesus am Kreuz von Gott verlassen? Was hat das mit uns zu tun?
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