Palmsonntag – ein Wechselbad der Gefühle

Datum: 10. April 2022 | Prediger/in:
Serie: | Bibeltext: Matthäus 21,1-11

Ein Tag von Jesus zwischen Jubel und Tränen, umringt von den verschiedensten Menschen.


Rosmarie und ich wurden an unserer Hochzeit der Kirche Remigen getraut. Das Fest ging dann im Seehotel Hallwil in Beinwil am See über die Bühne, gleichzeitig mit einer andern Hochzeitgesellschaft im Obergeschoss. Bei uns war es ein freudvolles Feiern, während es in der anderen Gesellschaft bald laut wurde. Es gab eine heftige Auseinandersetzung, dass sogar die Braut davonlief. Was für Gegensätze: Hier Freude und Lachen, dort Wut und Tränen! Vielleicht hast du auch schon eine Party erlebt, die wunderschön begann, dich aber immer mehr angurkte. Nach einem guten Start wuchs dein Frust mehr und mehr und zuhause flossen dann die Tränen.

Palmsonntag! Wir wissen nicht so recht, was dieser Sonntag in uns auslösen soll. Ist es ein Tag der Freude? Oder ist es der eher traurige 1. Akt der Passion Jesu Christi? So viel sei schon vorausgesagt: Es war ein Tag der Freude und der Tränen. Wir denken an diesem Tag an den Einzug von Jesus in Jerusalem. Viele, die früh zum Passahfest angereist waren, bereiteten Jesus von Nazareth einen begeisterten Empfang. Was für ein Event! Alles spricht von Jesus! Sie hatten zuhause von der wundervollen Auferweckung des Lazarus gehört und jetzt konnten sie Jesus sehen. Das war ein Jubel!

Für sie ist das gewesen wie früher, wenn ein siegreicher König von einem Krieg zurückkehrte. Palmen galten im Mittelmeerraum von alters her als Sinnbild des Lebens und des Sieges; in Israel besonders auch als Symbol für die Unabhängigkeit. Wegen den vielen Palmwedeln, die geschwenkt oder auf den Weg gelegt wurden, kam es im frühen Mittelalter zu diesem Feiertag, dem Palmsonntag. Das Fest, das damals mit Jesus in Jerusalem ein religiöses Freudenfest hätte werden sollen, bekam schnell einen politischen Touch. Unter dem Volk spürte man eine massive Abneigung gegen die fremde Besatzungsmacht der Römer; und das steigerte im Volk natürlich die Erwartung des kommenden Messias. Nicht Wenige sahen nun in Jesus den sehnlichst erwarteten Befreier, der die Römer ein für alle Mal aus dem Land vertreiben wird. Die älteren Semester erinnerten sich an die davidische Königslinie.

«Jetzt kommt bestimmt ein weiterer Musterkönig im Stil von David» – das war ihre Hoffnung!

«Hosianna dem Sohn Davids!» schrien sie. Der hebräische Ausdruck Hosianna kann doppelt gedeutet werden, einerseits als Bittruf «Rette uns» und zum andern als Huldigung: «Ja, du wirst uns helfen.» Matthäus und Markus berichten, dass Jesus als Sohn Davids gefeiert wird, während bei Lukas und Johannes Jesus ausdrücklich als König bejubelt wird.

«’Gesegnet sei er, der König, der im Namen des Herrn kommt!’ riefen sie» (Lukas 19,38 NGÜ). Auffallend ist, dass in allen vier Evangelien dieser Nachsatz dem Jubel angefügt ist: «der da kommt im Namen des Herrn.»

Jesus wehrte sich von Anfang an bewusst gegen die falschen, politischen Erwartungen. Aber er hätte keinen Grund gehabt, diesen Triumphzug abzusagen! Er wollte diesen angekündigten Weg gehen, damit die prophetischen Worte erfüllt werden. Es war sein Auftrag von Gott. Es war sein Weg. Ein Weg, der schon Jahrhunderte lang im Voraus angekündigt war, z.B. durch den Propheten Sacharja: «Juble laut, du Volk von Zion! Freut euch, ihr Bewohner von Jerusalem! Seht, euer König kommt zu euch. Er ist gerecht und siegreich, und doch ist er demütig und reitet auf einem Esel – ja, auf dem Fohlen eines Esels» (Sacharja 9,9 NLB). Darum organisierte er auch das Ganze. Er liess den jungen Esel holen! Der Hosianna-Jubel passte bestens, denn er brachte endlich die Wahrheit ans Licht. Er ist der Retter, der Messias. Er ist tatsächlich ein König! Auch wenn er nicht auf einem geschmückten Pferd erschien, sondern auf einem Esel, der nicht einmal ihm gehörte und wieder zurückgegeben werden musste.

Seinen Titel hatte Jesus später vor Pilatus klar bezeugt: «Du sagst es, ich bin ein König. Dazu bin ich geboren. Ich bin gekommen, um der Welt die Wahrheit zu bringen» (Johannes 18,37 NLB). Und am Schluss seines Weges, bevor er in den Himmel auffuhr, hatte er es seinen Jüngern nochmals deutlich gemacht: «Mir ist alle Macht im Himmel und auf der Erde gegeben» (Matthäus 28,18 LUT). So einen König hatte es noch nie gegeben und wird es auch nie mehr geben! Er ist der König, auch ohne Krone, ohne Zepter, ohne kostbare Kleider, ohne Dienerschar… Aber der triumphale Einzug passt! Auch wenn es kein Einzug war, der den Auszug der Römer einläutete! Im Gegenteil: Er selbst wird bald ein Ausgestossener sein. Dann werden die Leute schreien: «Hinweg mit ihm... kreuziget ihn…» Ich möchte noch auf ein paar Einzelheiten des Tages aufmerksam machen.

Zwei davon nehme ich aus dem Lukas-Evangelium. Beide sind aus dem Kapitel 19:

Bleibt auf dem Boden der Realität!

«Einige der Pharisäer in der Menge forderten ihn auf: ‘Meister, rufe deine Jünger zur Vernunft!’ Doch er entgegnete ihnen: ‘Würden sie schweigen, dann würden die Steine schreien!’» (Lukas

19,39-40 NLB). Die Pharisäer sprechen Jesus sogar als Meister an. Nicht wegen einem plötzlichen Sinneswandel, sondern ihnen ging es vor allem darum, in Zusammenarbeit mit der römischen Besatzung für Ruhe und Ordnung in der Stadt zu sorgen. Warum erwähnt Jesus Steine, die schreien würden? Weil er gar nicht damit rechnen musste, dass sie schweigen. Der lautstarke Jubel war angekündigt in Sacharja 9,9. Ich erinnere nochmals daran: «Juble laut, du Volk von Zion! Freut euch, ihr Bewohner von Jerusalem!» (Sacharja 9,9 NLB).

Nun zur zweiten Stelle aus Lukas 19:

Jesus weint

«Als sie sich jedoch Jerusalem näherten und Jesus die Stadt vor sich liegen sah, begann er zu weinen. ‘Wie sehr wünschte ich, du würdest noch heute den Weg des Friedens finden. Doch nun ist es zu spät, und der Friede bleibt dir fremd’» (Lukas 19,41-42 NLB). Jesus hatte vom Oelberg her eine wundervolle Sicht auf die Stadt, wer schon dort war, weiss es! Jesus ist sichtlich berührt von dieser Kulisse. Als er den Tempel im Abendlicht sieht und daran denkt, dass die Leute der Stadt seine Botschaft nicht begriffen hatten, überwältig ihn eine tiefe Trauer und er kann seine Tränen nicht mehr aufhalten.

Jesus erlebt nochmals stark, was Johannes so beschrieben hat: «Er kam in die Welt, die ihm gehört, und sein eigenes Volk nahm ihn nicht auf» (Johannes 1,11 NLB). Das ist das einzige Mal, dass die Bibel den echt weinenden Jesus erwähnt. Vor dem Grab des Lazarus, umgeben von der laut trauernden Menge zeigen sich in seinen Augen auch einige Tränen. Das zeigt: Der Gottessohn ist auch ganz Mensch; von menschlichen Gefühlen und Regungen bewegt. Jesus weint über die Menschen dieser Stadt: «Ich war euch so nahe; warum wolltet ihr nicht auf mich hören?»

Diese Schilderung im Lukasevangelium hat mich sehr berührt. Ich habe noch nie geweint über die mehrheitlich gottlose Schweiz. Ich habe noch nie geweint über die Mitbewohner in unserem Block, die keine persönliche Beziehung haben zu Jesus. Oder über Verwandte, oder gute Freunde, die den Glauben an Jesus Christus anscheinend nicht nötig haben. Und du? Klar, für Jesus war das anders. Er ist auf diese Erde gekommen, um uns zu retten durch sein Sterben am Kreuz, darum trifft ihn Ablehnung viel stärker. Und doch sollte es uns nicht kalt lassen, wenn Leute, die uns nahestehen, Gott abweisen. Das darf uns nicht egal sein! Wir müssen sie nicht beweinen; aber sie unsere Liebe spüren lassen und immer wieder für sie beten. Es ist empfehlenswert, diesbezüglich wieder mal den Puls zu messen. Wie sehr schlägt mein Herz für Menschen, die mir nicht egal sind, jedoch Gott noch nicht kennen?

Absturz

Eine weitere Besonderheit dieses Tages sehe ich in Matthäus 21, wo mir zwei Verse eindrücklich bewusst geworden sind: «Und als er in Jerusalem einzog, erregte sich die ganze Stadt und fragte: Wer ist der? Die Menge aber sprach: Das ist Jesus, der Prophet aus Nazareth in Galiläa» (Matthäus 21,10-11 LUT). Das gibt es doch nicht! Jesus zieht in Jerusalem ein und die Leute fragen «Wer ist das?» Und nicht weniger schockierend ist die Antwort der Leute: «Das ist Jesus, der Prophet aus Nazareth in Galiläa…» Der bejubelte König und Sohn Davids ist jetzt plötzlich nur noch einer von den vielen Propheten. Der Mann, der gekommen ist im Namen des Herrn, ist jetzt plötzlich nur noch der, der gekommen ist von Nazareth in Galiläa, und Jesus heisst, wie viele andere auch. Steiler kann der Absturz in die Jerusalemer Welt für Jesus wohl kaum sein!

Kommt uns dieses Gefälle nicht bekannt vor? Wir singen am Sonntag Loblieder – aus voller Kehle, oder von noch tiefer: von ganzem Herzen. Wir lieben es, gemeinsam zu singen, Gott zu loben und ihn anzubeten – herrlich. Und dann kommt der Montag. Du willst auch in deinem Alltag Jesus verherrlichen und ein Zeugnis für ihn sein. Aber diese ganz andere Welt, die Welt, in der Gott nicht vorkommt und nicht erwähnt werden will, staucht dich zusammen. Doch es ist die Welt, in die Jesus und sendet. Er will uns hier haben – für sich! Für Jesus war der Weg in diese Welt sein Auftrag. Für dich ist sie auch dein Platz, an den Gott dich gestellt hat. So wie Jesus nicht allein war auf diesem Weg, bist du es auch nicht. Jesus wusste: Mein himmlischer Vater ist mit mir. Und du darfst wissen, als gläubiges Kind Gottes ist Jesus überall und zu jeder Zeit an deiner Seite!

Jesus erfüllt seinen Auftrag und geht den Weg mit uns bis ans Ziel

Der Palmsonntag war für Jesus eine Riesenherausforderung. Warum hat Jesus diese Übung nicht abgebrochen? Er trat diesen Weg an für uns. Er gab sich in dieses Spiessrutenlaufen hinein für dich und mich. Und genauso erfüllt er jetzt seinen Auftrag mit uns und geht mit uns den Weg bis ans Ziel. Jesus betete für uns:

«Mein Gebet gilt nicht der Welt, sondern denen, die du mir gegeben hast, weil sie dir gehören. Weil sie die Meinen sind, gehören sie auch dir; doch du hast sie mir gegeben, damit ich durch sie verherrlicht werde!» (Johannes 17,9-10 NLB).

Amen

 

 

 

 

 

Mögliche Fragen für die Kleingruppen

Jemand liest den Text von Matthäus 21,1-11 während die andern aufgeteilt die synonymen Texte lesen und vergleichen: Markus 11,1-11a; Lukas 19, 28-42; Johannes 12, 12-19

  1. Was waren für Jesus ermutigende Momente/Frustmomente an diesem Tag?
  2. Wie hättest du den Menschen in Jerusalem auf die Frage: «Wer ist der?» geantwortet?
  3. Was hat viele Hosianna-Schreier so schnell zu Kreuzige-ihn-Schreier verwandelt?
  4. Wer hat schon mal über nahestehende Menschen, die Jesus nicht persönlich kennen, geweint? Zählt diesbezüglich verschiedene Alternativen auf zum Weinen.
  5. Wie erlebst du als Christ im Alltag das ständige Eintauchen in eine gottferne Welt?
  6. Freut euch zum Schluss, dass Jesus sich selbst durch euch in dieser verrückten Welt verherrlichen will!