Der Türöffner für ein Zuhause
Das Buch Rut spricht vom Auszug von Zuhause sowie der Rückkehr. Damit die Witwe Rut in Israel heimisch werden konnte, brauchte sie einen Löser. Boas übernahm diese Funktion. Dadurch bekam sie eine Lebensgrundlage und ewige Hoffnung. Jesus ist unser Erlöser; auch er ermöglicht uns im Haus Gottes eine Heimat.
Die heutige Segnung von Noemi G. ist Anlass genug, uns mit der Noomi der Bibel im Buch Ruth zu beschäftigen. Es ist eine Geschichte des Heimkommens. Vorerst allerdings ging’s ab in die Fremde.
Hartes Brot in der Fremde
Noomi lebte mit ihrem Mann Elimelech und ihre zwei Söhnen Machlon und Kiljon in Bethlehem, was Brothausen bedeutet. Doch dann entstand eine Hungersnot im Land. Das Brot in Brothausen wurde knapp. Deshalb zog die ganze Familie von Noomi und Elimelech nach Moab, einem Gebiet südlich von Israel. Auf den ersten Blick sagen wir: «Das ist verständlich!» Wir müssen aber genau hinschauen, was das für eine Familie ist, die nach Moab aufbricht. Das ist deswegen auffällig, weil man eigentlich nicht nach Moab geht, schon gar nicht, um dort sein Brot zu suchen. Für Fremde gibt es in Moab kein Brot und kein Wasser, das ist die Erfahrung Israels aus seiner Wüstenwanderzeit.
Wer wird in Moab Brot und Wasser bekommen, wo man freiwillig nichts von beidem bekommt? Wohl der, der eine Gegenleistung zu geben hat. Noomis Familie bringt etwas mit, was ihr den Zugang zu Brot und Wasser eröffnet: Geld. Sie selbst sagt: «Reich und wohlhabend bin ich ausgewandert und mit leeren Händen lässt mich der Herr heimkehren» (Rut 1,21). Dieses Geld öffnet ihnen nicht nur den Zugang zu Nahrung, sondern auch zur Gesellschaft. Nur Reiche konnten sich im Land Moab einheiraten. Ihre zwei Jungs heiraten moabitische Frauen: Orpa und Rut. Warum müssen reiche Leute nach Moab fliehen, wenn das Brot knapp ist? Die Vermutung liegt nahe, dass sie dadurch ihren Reichtum bewahren wollen. Sie fliehen nicht vor dem Hunger, der in ihr Haus will, sondern vor dem Bettler, der an ihren Tisch möchte. Sie verweigern Solidarität.
Moab wird aber zur Sackgasse. Sie essen dort «hartes Brot». Da Noomis Mann und die beiden Söhne sterben, bleibt sie allein zurück. Sie wird eine einsame und bittere Frau, wie sie selbst später bei ihrer Rückkehr nach Bethlehem ausdrücken wird: «Nennt mich nicht mehr Noomi, nennt mich Mara (= Bitterkeit), denn der Allmächtige hat mir das Leben bitter gemacht» (1,20). Witwen zur damaligen Zeit waren vogelfrei, in einem Zustand völliger Rechts- und Schutzlosigkeit. Nur wenn sie ein neues Zuhause finden und Kinder gebären würden, könnten sie der Armutsfalle entfliehen.
Israel ist das Volk Gottes. Bildlich gesprochen zog die Familie von dem Gott Israels in ein Land, wo der Egoismus thronte und in dem die Bewohner sogar ihre Kinder den Götzen opferten. Moab bedeutet «vom Vater» und bezeugt seine Entstehung. Es war zu der Zeit, als Sodom und Gomorra zerstört wurden (1Mose 19). Lot, der Neffe von Abraham, wohnte mit seinen zwei Töchtern in einer Höhle oben in den Bergen. In dieser Abgeschiedenheit, fernab von möglichen Ehemännern, heckten die zwei Frauen einen Plan aus, wie sie zu Kindern kommen können. Sie machten Lot betrunken und schliefen mit ihm. Bei dieser Affäre entstand das Inzestkind Moab. Diese Untat lag fortan wie ein Schatten über den Moabitern – eine offene Wunde. Etwas Belastendes lag auf diesem Volk.
In dieses Land zog Elimelech mit seiner Familie, um dort seinen Reichtum in Sicherheit zu bringen. Sein Motiv war die Geldliebe, was ja bekanntlich die Wurzel allen Übels ist (1Timotheus 6,10). Und irgendwie nährte sie das Brot auch nicht gleich wie in Bethlehem. Im Gleichnis der verlorenen Söhne zog der jüngere Sohn ebenfalls von zu Hause aus, um sich ein erfülltes Leben zu kaufen. Sein Versuch scheiterte kläglich und endete hungernd bei den Schweinen. Jesus erklärt dieses Prinzip: «Denn wer versucht, sein Leben zu bewahren, wird es verlieren» (Markus 8,35). Die Familie von Elimelech und Noomi hat genau dies erfahren. Sie gingen eigene Wege und entfernten sich vom «Haus des Brotes», weil sie glaubten, dass das Gras auf der anderen Seite des Zaunes grüner sei. Viele Menschen denken so. Sie meinen, dass ein Leben bei Gott Nachteile bringt und zu wenig ernährt. Auf der Suche nach einem erfüllten Leben suchen sie anderswo. Leider lässt uns der trügerische Reichtum letztendlich aber hungrig zurück. Unser Hunger nach Bedeutung, Geborgenheit, Liebe und Zugehörigkeit wird nur bei Gott gestillt.
Typisch ist auch, dass Noomi in der Krise Gott die Schuld in die Schuhe schiebt: «Nennt mich nicht mehr Noomi. Nennt mich Mara, denn der Allmächtige hat mir das Leben bitter gemacht. Reich und wohlhabend bin ich ausgewandert und mit leeren Händen lässt mich der Herr heimkehren. Warum solltet ihr mich Noomi nennen, wenn der Herr mir so viel Leid zugemutet und der Allmächtige solches Unglück über mich gebracht hat?» (1,20f). In Distanz zu Gott stehen wir alle mit leeren Händen da. Verfolgen wir nicht oft auch unsere eigenen Wege zum Glück und wenn wir in der Krise sind, schieben wir Gott die Schuld zu? Man nennt dies egozentrischer Deismus: Ich gestalte mein Leben. Ich entscheide, was für mich richtig und falsch ist und Gott hilft mir dabei. Gott ist mein persönlicher Retter und wird mich nie enttäuschen. Was für ein Irrtum!
Rückkehr nach Hause
Und so macht sich Noomi auf, zurück nach Bethlehem, zu denen, die sie verlassen hat – damals als sie noch reich war. Ihre Schwiegertöchter will sie vorher noch loswerden und schickt sie zurück zu ihren Familien. Bitterkeit sucht Einsamkeit. Wer bitter ist, weiss um die eigene Unerträglichkeit. Noomi sagt: «Nein, meine Töchter, kehrt um, denn ich bin zu alt, um noch einmal zu heiraten. Und selbst wenn ich sagen würde: ‘Ich habe noch Hoffnung’, ja, selbst wenn ich mich noch diese Nacht mit einem Mann verbinden und Söhne bekommen würde, was würde das nützen? Würdet ihr warten, bis sie erwachsen sind? Würdet ihr euch so lange einschliessen und auf jede andere Ehe verzichten? Nein, geht nicht mit mir, meine Töchter! Mein bitteres Leid ist noch schwerer für mich als für euch, denn der Herr selbst hat es über mich gebracht» (1,12f).
Noomi spricht die Schwagerehe an. Stirbt ein verheirateter Mann und hinterlässt keine Kinder, so hat der nächste Verwandte die Pflicht, die Witwe zur Frau zu nehmen. Der erste Sohn, den sie zur Welt bringt, gilt dann als Nachkomme des verstorbenen Bruders, damit dessen Name in Israel erhalten bleibe. Das Problem war nur, dass ein solcher Bruder gar noch nicht auf der Welt war und Noomi ja auch keinen Mann mehr hatte. Die einzige Zukunftshoffnung für ihre Schwiegertöchtern sah sie darin, dass sie sich einen moabitischen Mann suchten.
Orpa, was «Hinterkopf» bedeutet, springt ab. Noomi sieht sie nur noch von hinten. Doch Rut weigert sich schlichtweg, Noomi zu verlassen. «Aber Rut antwortete: ‘Verlang nicht von mir, dass ich dich verlasse und umkehre. Wo du hingehst, dort will ich auch hingehen, und wo du lebst, da möchte ich auch leben. Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da will ich auch sterben und begraben werden. Der Herr soll mich strafen, wenn ich zulasse, dass irgendetwas anderes als der Tod uns trennt!’» (Rut 1,16f).
Dem hebräischen Text ist die Heftigkeit, mit der er gesprochen wird, abzuspüren. Die Sätze werden sind kurz und prägnant: «Dein Volk – mein Volk, dein Gott – mein Gott!» Rut heisst übersetzt die Freundin, Begleiterin. Und Rut wird zu dem, was in ihrem Namen steckt: die Begleiterin für Noomi. Gleichzeitig steckt in den prägnanten Sätzen von Rut ein klares Bekenntnis zu dem einen Gott Israels.
Zugehörig zu Hause
Nun – Noomi zieht mit Schwiegertochter Rut nach Brothausen und das sinnigerweise zur Zeit der Gerstenernte. Die Brotknappheit ist vorüber. Rut muss nun für ihren Lebensunterhalt aufkommen. Im alten Israel hatten sozial Benachteiligte wie beispielsweisen die Witwen das Recht, bei der Ernte hinter den Schnittern herzugehen, um die restlichen Ähren aufzulesen. Rut tat dies auf dem Acker von Boas, einem Verwandten von Elimelech. Boas war ihr sehr wohlgesonnen, sorgte für ihre Sicherheit, Zwischenverpflegung und dafür, dass die Erntearbeiter mehr Ähren liegenliessen.
«Wo hast du heute nur das viele Korn gesammelt?», rief Noomi. […] Rut erzählte ihrer Schwiegermutter, bei wem sie gearbeitet hatte. Und sie sagte: «Der Mann, auf dessen Feld ich heute war, heisst Boas.» «Der Herr, der seine Gnade weder den Lebenden noch den Toten entzogen hat, segne ihn», sagte Noomi zu ihrer Schwiegertochter. «Dieser Mann ist einer unserer nächsten Verwandten (hebr. qarob), einer der Löser (hebr. goel) unserer Familie.» (2,19f).
Als erstes fällt auf, dass Noomi ihren Glauben zurückgewinnt. «Der Herr hat seine Gnade nicht entzogen.» Zudem braucht Noomi zwei Ausdrücke, die das weitere Geschehen nachhaltig bestimmen. Sie sagt, dass Boas ein qarob (Verwandter) und auch ein goel (Löser) sei. Der Löser ist der nächste Verwandte, der die Grundstücke verarmter oder kinderlos verstorbener Männer aufzukaufen hat. Im letzteren Fall muss der Löser durch eine Ehe mit der Witwe versuchen, stellvertretend für den Verstorbenen dem Grundstück einen Erben zu verschaffen. Die Situation war die, dass es Boas der zweite Löser war. Es gab noch einen näheren Verwandten, der das «Vorlösungsrecht» hatte. Dieser hätte zwar gerne das Land von Elimelech gelöst, wollte aber die moabitische Witwe Rut nicht heiraten (4,1ff).
«Darauf sagte Boas zu den Ältesten und zu allen anwesenden Leuten: ‘Ihr seid Zeugen, dass ich heute den gesamten Besitz Elimelechs, Kiljons und Machlons von Noomi gekauft habe. Zusammen mit dem Land habe ich auch Rut erworben, die moabitische Witwe von Machlon. Sie soll meine Frau werden, damit der Verstorbene einen Erben bekommt, der seinen Namen weiterträgt. So wird sein Name im Kreis seiner Verwandten und unter den Bürgern der Stadt nicht untergehen. Ihr alle seid heute Zeugen dafür.’» (4,9f).
Boas wurde zum Löser von Noomi. Die vogelfreie Witwe aus dem durch Inzest entstandenen Volk fand eine neue Heimat. Türöffner für ihr neues Zuhause im Volk Gottes war der Löser Boas. Der Begriff «Löser» hat nicht aus Zufall diese grosse Ähnlichkeit mit dem Wort «Erlöser». Gott stellt sich Mose vor, als der, der Israel aus der Hand der Ägypter erlösen wird (2. Mose 6,6). Auch in Jesaja 41,14 steht im Hebräischen dieses Wort goel: «[…] Fürchte dich nicht, ich helfe dir, darauf hast du mein Wort. Dein Erlöser ist der Heilige Israels.» Letztendlich erlöst uns Gott alle durch Jesus Christus. Er ist der Türöffner zu dem einen Gott, dem himmlischen Vater. Durch Jesus bekommen wir Zugang zum Hause Gottes. Diese überragende und prophetische Bedeutung dieses kleinen Wortes goel kommt schon im Alten Testament zum Ausdruck: «Doch für Zion und diejenigen aus Jakob, die sich von ihrer Sünde abkehren, kommt er als Erlöser. Darauf gibt der Herr sein Wort» (Jesaja 59,20).
Jesus ist unser Erlöser. Durch ihn als unseren Türöffner bekommen wir Heimat im Hause Gottes. Durch dieses Daheim-Sein sind wir nicht mehr vogelfrei, sondern bekommen Geborgenheit, Lebensqualität und ewige Zukunft. Unser Name wird niemals untergehen. Zudem werden wir von dunklen Schatten befreit – sei die Ursache Inzest oder irgendetwas anderes. Das Haus Gottes ist gleichzeitig auch das Haus des Brotes (Bethlehem). Dort ist immer Gerstenernte und folglich genug Brot. Jesus, ein Nachkomme von Rut, sagt von sich selbst: «Ich bin das Brot des Lebens» (Johannes 6,48). Er ist gekommen, uns «das Leben in ganzer Fülle zu schenken» (Johannes 10,10).
Mögliche Fragen für die Kleingruppen
Bibeltext lesen: Rut 1 und 4,1-12
- Für was steht Bethlehem und für was steht Moab in der Geschichte? Warum konnte Familie Elimelech/Noomi in Moab nicht glücklich werden?
- Wie funktionierte die Institution des Lösers im alten Israel? Inwiefern war er ein Türöffner für eine neue Heimat?
- Welche Parallelen gibt es zu Jesus?
- Wie veränderte sich die Situation von Rut durch die Erlösung durch Boas?