Advent – Hoffnung trotz Trümmern
Serie: Heilig - Heilig - Heilig | Bibeltext: Jesaja 40,9-17
Das Volk Israel lebte im Exil in Babylon – eine für den einzelnen Juden wie auch für das ganze Volk äusserst trostlose Zeit. Doch dann trifft durch den Propheten Jesaja eine Freudenbotschaft ein. Obwohl Zion und Jerusalem in Trümmern liegen, keimt neue Hoffnung auf. Das gleiche Evangelium (= Gute Nachricht) erreicht uns in dieser Adventszeit – einer ähnlich herausfordernden Zeit.
Es war im kalten Kriegswinter 1944. Ein Rabbiner hielt sich mit seinem Sohn in Schlesien versteckt. Ihre Zukunft war völlig ungewiss. Sie hungerten. Eines Abends zog der Vater einen irdenen Topf hervor und begann einen Docht, der in die letzte Margarineration eingesenkt war, anzuzünden. Es sei Abend von Chanukka, dem Lichterfest zur Erinnerung an die Wiedereinweihung des Tempels, erklärte er seinem Sohn. Doch der Junge protestierte heftig gegen die Verschwendung. Der Vater schaute seinen Sohn lange an und sagte schliesslich: «Du und ich, wir haben gesehen, dass es möglich ist, drei Wochen ohne Nahrung zu überleben. Einmal haben wir drei Tage ohne Wasser gelebt. Aber man kann keine drei Minuten ohne Hoffnung leben!» Die beiden überlebten. Ohne Hoffnung ist unser Leben ein sinnloser Verlust. Hoffnung ist die Verneinung der Verneinung. Bischof Cyprian von Karthago sagte: «Wir wollen inmitten der Ruinen der Welt aufrecht stehen und nicht auf dem Boden liegen wie diejenigen, die keine Hoffnung haben.» Advent ist die besondere Zeit im Jahr, während der wir inmitten der Trümmern neue Hoffnung schöpfen wollen.
Die Hoffnungslosigkeit
Über lange Zeit betete das Volk Israel lieber irgendwelchen handgefertigten Götzen an und nicht Jahwe, den lebendigen Gott. Sie sündigten. Das griech. Wort für Sünde meint Zielverfehlung. Die Aufgabe des Menschen ist es, Gott in der Schöpfung zu repräsentieren und das Lob der ganzen Schöpfung an den Schöpfer zurückzuspielen. Weil Gottes Bundesvolk dieses Ziel verfehlte, wurde Israel im Jahr 597 v. Chr. nach Babylon in die Gefangenschaft deportiert. Der Tempel und die Stadtmauern von Jerusalem wurden dem Erdboden gleichgemacht. Nun sitzen die Juden an den Wassern von Babylon, singen ihre Klagelieder und versinken in Hoffnungslosigkeit.
Inmitten dieser Trümmer bricht ein Jubel auf: «Zion, du Überbringerin der guten Botschaft, steig auf einen hohen Berg! Sprich mit lauter Stimme, Jerusalem, du Freudenbotin, sprich laut und fürchte dich nicht. Sag den Städten Judas: ‘Seht, da ist euer Gott!’» (Jesaja 40,9 NLB). Die drei hier adressierten Namen «Zion», «Jerusalem» und «die Städte Judas» umreissen eine Welt von Hoffnungslosigkeit. Die Davidsburg auf dem Zion ohne Königtum, Jerusalem ohne Tempel, die Städte Judas ohne Volk – das war das Ergebnis des Treuebruchs.
Ausgerechnet die von der Trostlosigkeit betroffenen Zion und Jerusalem sollen zu Freudenboten werden. Die gute Nachricht ist so sensationell und dringlich, dass der Berg Zion auf einen hohen Berg steigen und Jerusalem mit lauter Stimme rufen sollen.
Wir leben heute in einer ähnlich hoffnungslosen Welt. Es herrscht grosse Unsicherheit und die Symbole der Christenheit sind am Boden. Wir reden von Säkularisierung. Die Leute treten aus den Kirchen aus und die leeren Gotteshäuser werden umgenutzt. Gottes erwähltes Volk, die Juden, sind in Kriegshandeln verwickelt. Die ganze Welt prügelt auf sie ein. Das Szenario eines dritten Weltkriegs wird offen diskutiert.
Auf diesem Hintergrund erleben wir aktuell die Zeit des Advents. Dabei erinnern wir uns an die beste aller Botschaften, nämlich dass Gott allmächtig ist und die Fäden weiterhin in Seinen Händen hat. Damals führte Er Sein Volk zurück nach Jerusalem und in die Städte Judas, ein paar hundert Jahre später wurde Er in der Person von Jesus als schutzloses Kind in diese Welt geboren und irgendwann kommt Er wieder und schafft einen neuen Himmel und eine neue Erde.
Das Evangelium
Das griechische Wort für die Freudenbotschaft heisst Evangelium. Der Inhalt wird bei Jesaja in drei Seht erläutert:
«[...] Sag den Städten Judas: ‘Seht, da ist euer Gott!’ Seht, der HERR, euer Herrscher, kommt mit Macht. Er regiert zu seinem Nutzen. Seht hin: Er bringt eine Belohnung mit und führt sein wiedererworbenes Volk vor sich her» (Jesaja 40,9-10 NLB).
Das dreifach wiederholte «Seht» zerreisst die dichten Wolken der Traurigkeit und enthüllt den Inhalt der Freudenbotschaft:
- Seht, da ist euer Gott! Die Exil-Juden in Babylon waren zutiefst deprimiert und gingen davon aus, dass Gott sein erwähltes Volk verworfen hat. Bereits begannen sich die Gefangenen mit der misslichen Lage abzufinden. Persönlich finden wir uns manchmal auch in misslichen Lage und wir fragen uns, ob Gott sich abgewendet hat. Einer solchen schlimmen Vorahnung setzt die frohe Botschaft «Euer Gott» entgegen. Das besitzanzeigende Fürwort muss für die deprimierten Juden am Ufer des Euphrat Balsam auf ihre geschundene Seelen gewesen sein.
- Seht, der HERR, euer Herrscher, kommt mit Macht. Wenn wir in unser Leben oder in die Welt hinausblicken, kann es den Anschein machen, dass Gott schweigt, nicht mehr unter uns wirkt und seinen Arm zurückgezogen hat. Die Frohe Botschaft sagt: «Er kommt mit Macht». Die folgende Verse bezeugen eindrücklich Gottes Überlegenheit und Stärke: «Wer hat das Meer mit seiner Hand gemessen und das Mass des Himmels mit seiner Handspanne festgesetzt? Wer hat den Staub der Erde mit einem Scheffel gemessen, wer hat die Berge gewogen und die Hügel auf die Waagschale gelegt? Wer kann wissen, was der HERR denkt? Wer kann sein Ratgeber sein? Mit wem hat er sich beraten, um Einsicht zu gewinnen, und sich in Rechtsfragen belehren zu lassen; und wer hat ihm beigebracht, wie man zu Erkenntnis kommt? Die Völker sind in seinen Augen wie ein Tropfen am Eimer, wie ein Staubkorn auf einer Waage. Ferne Länder fallen bei ihm nicht mehr als ein Staubkörnchen ins Gewicht. Die Wälder des Libanon enthalten nicht genügend Brennholz und alle seine Tiere wären nicht genug für ein Brandopfer. Die gesamte Weltbevölkerung ist in seinen Augen nichts» (Jesaja 40,12-17 NLB). Gott wird mit ausgestrecktem Arm in unwiderstehlicher Kraft in die Sichtbarkeit hereintreten.
- Seht hin: Er bringt eine Belohnung mit und führt sein wiedererworbenes Volk vor sich her. Gottes Plan, die ganze Weltgeschichte, seine Erwählung, seine Taten, sein unermüdliches Reden durch die Propheten, seine Arbeit waren vergeblich, wenn der Trümmerhaufen Jerusalems und das Häuflein der Verbannten das Ergebnis sind. Das Endergebnis der Heilsgeschichte sind nicht Trümmer und ein Häuflein, sondern ein grosses Volk. Die Juden sind nach wie vor Gottes erwähltes Volk, zu gegebener Zeit wird ganz Israel gerettet werden (Römer 11,26). Dazu kommen viele wiedergeborene Menschen aus allen Nationen, die während der Verstocktheit Israels zum Glauben gefunden haben.
In dieser Adventszeit sind wir eingeladen, mit den Augen des Herzens das Evangelium trotz vieler Trümmer zu sehen. Inhalt des Evangeliums ist die grosse Vision Gottes für seine gesamte Schöpfung. Bereits ganz am Anfang der Weltgeschichte wollte Gott den Himmel und die Erde zusammenbringen und in der Mitte der Menschen wohnen. Aus der Gemeinschaft hatten die Menschen zwei Aufgaben: Könige und Priester sein. Das bedeutet, die Herrschaft Gottes in dieser Welt repräsentieren und das Lob der Schöpfung dem Schöpfer zurückspiegeln. Die entscheidenden Punkte bei der Rückkehr des Volkes aus dem Exil war der Aufbau des Tempels sowie der Stadtmauern von Jerusalem und die Bevölkerung der Städte Judas. Der Tempel war der Ort, wo sich Himmel und Erde berühren und Gott inmitten seines Volkes wohnt. An Weihnachten feiern wir das erste Kommen Jesu. Er war der neue Tempel, der mitten uns zeltete (Johannes 1,14). Wer sein Leben diesem Jesus anvertraut, wird mit dem Heiligen Geist beschenkt. Dadurch wird ein Nachfolger Jesu befähigt, Mensch für Gottes neue Schöpfung zu sein. Die Kirche Jesu soll Zeichen und Wegweiser für Gottes neue Welt sein. Nach dem zweiten Kommen, auf dass wir warten, wird der ultimativen neue Himmel und die neue Erde offenbart. Diese neue Schöpfung wird wie ein Tempel designet sein und Gott wird darin bei den Menschen wohnen. Advent ist das Warten auf die Rückkehr von Jahwes herrlicher Präsenz.
Der Prophet Jesaja hat hier wie an anderen Stellen seines Buches die Rückkehr aus dem babylonischen Exil sowie das erste und das zweite Kommen Gottes in Christus in einem gesehen.
Der Hirte
Der Herrscher kommt mit Macht und bringt ein grosses Volk als Lohn mit sich, gleichzeitig ist Er der gute Hirte: «Er wird seine Herde weiden wie ein Hirte: Die Lämmer wird er im Arm tragen und sie auf seinem Schoss halten, die Mutterschafe wird er freundlich leiten» (Jesaja 40,11 NLB). Gleichzeitig heilig, herrlich, herrschend und sanft, mitfühlend und unterstützend – so ist Jahwe, unser Gott. Er geht den Verirrten nach, nimmt auf die Müden Rücksicht und trägt das Schwache. Kinder und Mütter erachtet Er offensichtlich als besonders schützenswert. Niemandem legt Er mehr auf, als die Person tragen kann. Niemals fordert Er mehr, als einer leisten kann. Das sagt das Bild von den Lämmern, die er im Arm trägt und auf seinem Schoss hält, und von den Mutterschafen, die er behutsam führt.
Ich stelle mir gerade eine Familie vor, die auf den Säntis wandert. Munter eilen die Kids voraus. Doch dann kommt der Punkt, an dem die Kräfte sie verlassen oder das Gelände gefährlich wird. Ab diesem Moment nehmen die Eltern ihre Kinder in die Trage oder führen sie an der Hand. Sie begegnen einfühlsam den Grenzen ihrer Kinder. Genauso ist Gott. Auch unter uns gibt es Leute, die am Ende ihrer Kräfte oder gerade überfordert sind. Einige leiden an Krankheit und Schmerzen, dem Zerbrechen einer Beziehung, dem Älterwerden, Problemen am Arbeitsplatz, schlaflose Nächte. Gott sieht es und begegnet dir – wie ein Hirte – in deiner Not.
Unser Bild eines Hirten ist eher romantisch und verklärt. Gott ist aber nicht der süssliche Schwächling, sondern der kräftige Sohn der Berge, der mit Stock und Keule bewaffnet mit wilden Tieren kämpft, alle Wege kennt, den Verirrten nachgeht, das Gefallene mit dem Hirtenstab aus der Felsspalte zieht.
Dieser Hirte ist für dich! Folgende Aussage von Jesus ist der Beweis: «Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte opfert sein Leben für die Schafe» (Johannes 10,11 NLB). Jesus ist als guter Hirte so weit gegangen, dass Er sein Leben geopfert hat. Durch diesen Tod und die Auferstehung hat Jesus die Tür zur Neuschöpfung weit aufgetan – auch für dich. Wenn du dein Leben diesem Jesus anvertraust, wirst du selbst zum Tempel des Heiligen Geistes und damit zu einem kleinen Arbeitsmodell für die ultimative Neuschöpfung.
Advent bedeutet, dass wir voller Hoffnung durch die geöffnete Tür in die Neuschöpfung blicken und selbst zu einem Vorgeschmack werden, wenn wir Jesus in unser Leben einladen.
Mögliche Fragen für die Kleingruppe
Bibeltext lesen: Jesaja 40,9-17
- Lest den Bibeltext miteinander!
- Wie ist es wohl dem Volk Israel in den 70 Jahren Gefangenschaft in Babylon ergangen? Wie haben sie wohl die Worte Jesajas aufgenommen?
- Wo gibt es in deinem Leben – sei es persönlich oder im Blick auf die Welt – Momente der Trostlosigkeit?
- Glaubst du, dass es in allen persönlichen oder globalen Trümmern Hoffnung gibt? Was ist allenfalls der Anlass zur Hoffnung (Jesaja 40,12-17)?
- Was ist der Inhalt des Evangeliums und gleichzeitig die Vision Gottes für die Schöpfung?
- Advent bedeutet, auf den nächsten Schritt im Prozess zur Neuschöpfung zu warten. Was ist schon passiert? Worauf warten wir noch?